Chirurgie & Orthopädie
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Modernes Wundmanagement beim Haustier – wirksam und schmerzlos
Modernes Wundmanagement beim Haustier – wirksam und schmerzlosproblemaSchmerz lass nach!Wundheilungsstörungen haben in den letzten Jahren beim Kleintier immens zugenommen. Die Ursachen sind mannigfaltig. Von besonderer Bedeutung sind die angespannte Resistenzlage der Infektionskeime und die Zunahme von Mischinfektionen bei Wunden. Eine effiziente und zeitgemäße Wundantisepsis ist von größter Bedeutung für eine schnelle Wundheilung und damit für den Behandlungserfolg. Veterinärmikrobiologie im Wandel der Zeit Das Bild der mikrobiologischen Befunde in der Veterinärmedizin hat sich vor allem bei Wundabstrichen in den letzten 10 Jahren sehr gewandelt: Mischinfektionen mit drei oder gar mehr Keimen nehmen zu, zum Teil werden sie durch die Beteiligung mit Anaerobiern kompliziert [2]. Besonderes Augenmerk gilt dem Nachweis von Erregern mit einer Multiresistenz (MRSA (methicillinresistenter Staphylococcus aureus), MRSI (methicillinresistenter Staphylococcus intermedius) und ESBL (gram-negative Stäbchen mit extended spectrum betalactamasen)). Diese schmälern die therapeutischen Möglichkeiten immens, nicht selten münden diese Diagnosen in einen Therapienotstand. Ansprüche an die moderne Wundantisepsis Parallel zu dieser Entwicklung bekommt die Wundantisepsis eine immer größere Bedeutung: Bei der infizierten akuten Wunde kommt es in erster Linie auf die antiseptische Versorgung mit sicherer mikrobiozider Wirkung nach einem erfolgreichen chirurgischen Débridement an. Bei schlecht heilenden Wunden sollen die wiederholt zur Anwendung kommenden Wirkstoffe den Teufelskreis „Kolonisierung-Infektion- Rekolonisierung-Reinfektion-Wundheilungsstörung“ durchbrechen. Akute Wunden Wunden, also die Zerstörung funktioneller Gewebebereiche mit mehr oder weniger massiven Einschränkungen des betroffenen Organismus, gehören zum tierärztlichen Alltag. Im Vordergrund stehen vor allem bei jungen Hunden Abrasionsverletzungen, überwiegend durch Unfälle [1], und Bissverletzungen. Weiterhin kommt es beim Kleintier nicht selten zu Bagatellverletzungen wie z.B. Schnittwunden, aber auch Verbrennungen und Erfrierungen können vorkommen. Bagatellverletzungen heilen meist durch körpereigene Reparaturprozesse mehr oder weniger schnell und funktionell aus. Größere oder tiefere Wunden müssen i. d. R. chirurgisch versorgt werden (Wundreinigung, Débridement, Naht, Abdeckung). Während Abrasionsverletzungen eher überschätzt werden, werden Bissverletzungen meist unterschätzt („nur ein Loch“). Sie zeigen deutlich mehr Komplikationen wie Hautnekrosen und Demarkation, denn der größte Schaden liegt häufig unter der relativ gutartig erscheinenden punktförmigen Hautöffnung („Eisbergeffekt“) [6].Chronische Wunden Chronische Wunden zeigen eine verzögerte oder schlechte Heilungstendenz. Diverse unterhaltende Begleitprobleme entstehen z.B. durch Pharmaka oder andere Grunderkrankungen wie Niereninsuffizienz, Hypalbuminämie und/oder Hypoproteinämie oder Hypothyreose beim Hund. Besonders erwähnenswert sind Problemwunden im Rahmen von postoperativen Wundheilungsstörungen. Sie stellen den behandelnden Tierarzt vor eine große Herausforderung, da sie oft mit ein oder mehreren Keimen und in zunehmendem Maße mit multiresistenten Bakterien infiziert sind. Solche Wunden werden nicht selten re-operiert und verlangen ein effizientes zeitgemäßes Wundmanagement, vor allem bezüglich der antiseptischen Wundbehandlung. Neue Erkenntnisse zur Versorgung von Wunden Seit Beginn der 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts unterliegt das Verständnis über Wunden und deren Behandlung in der Humanmedizin einem beachtlichen Wandel. Die wichtigsten Veränderungen betreffen bei akuten Wunden die Lokaltherapie: Das gilt vor allem für das Prinzip „Schmieren, Pinseln, Sprühen“. Grundlagen dieser Therapien waren überwiegend „Trial und Error“. Diese Vorgehensweise wird nicht selten in der Tiermedizin von Patientenbesitzern im Rahmen von Selbstmedikation exerziert und stört den Heilungsverlauf in hohem Maße.Neue Ansprüche an die Wundversorgung Die moderne Wundversorgung verzichtet auf trockene und hygienisch problematische Salbenverbände und setzt auf eine feuchte Okklusivversorgung [3], [4]. Es gilt: - Der tägliche Verbandwechsel unter Schmerzen und Retraumatisierung wird durch Verbandwechsel mit neuartigen Wundverbänden in mehrtägigen Abständen ersetzt. - Polypragmatische Lokaltherapeutika – speziell Lokalantibiotika, Kortikosteroide und pflanzliche Produkte – verlieren ihre Bedeutung. - Aggressive und schmerzhafte Wundspüllösungen wie Alkohol (Ethanol) 70 %, Wasserstoffperoxyd 3 % und destilliertes Wasser werden gegen besser verträgliche Alternativen wie NaCl und Ringerlösung ausgetauscht. - Moderne Antiseptika – früher PVP-Jod, neuerdings Octenidin- und Polyhexanidprodukte – treten an die Stelle alter Produkte wie Rivanol® (Ethacridinlactat) und Kaliumpermanganat. Fallbeispiel „Tano“
Ein 2 Jahre alter rumänischer Straßenhund zog sich unter einem Couchtisch im März 2009 durch, aus einer offenen Thermoskanne auslaufenden, heißen Tee schwere Verbrennungen zu. In erster Reaktion flüchtete der Hund und biss/kratzte sich die Wunde selbst auf. Der Nottierarzt reinigte die Wunde und ordnete die Versorgung mit Chloramphenicolsalbe an (Chloramphenicol Biokema ad us. vet., Salbe). Am nächsten Tag verordnete und applizierte der Haustierarzt Baytril®. Die lokale Wundsituation verschlechterte sich jedoch täglich, die Nekrose dehnte sich aus, übel riechendes Wundexsudat trat aus dem Wundbereich (Abb. 1). Der Hund hatte zudem Schmerzen und nur das permanente Tragen einer Halskrause konnte eine Automutilation verhindern. Nach über 2 Wochen wurde der Hund dem Chirurgen vorgestellt. Im Rahmen einer Operation wurde ein ausgedehntes Débridement mit Abtragung von Nekrosen durchgeführt (Abb. 2). In der Anschlussbehandlung erfolgte eine ein- bis zweimal tägliche Wundspülung mit Octenivet®-Lösung und Konsequenzen für die Wundversorgung bei Tieren Es besteht die berechtigte Forderung, unsere Patienten von den modernen Erkenntnissen der humanen Wundversorgung profitieren zu lassen. Dazu gehört die Etablierung definierter neuer Versorgungsprinzipien für Wunden [5]: - Nekrosen und Wundinfektionen verlangen nach chirurgischem Vorgehen und wirksamen Antiseptika. - Die moderne, phasengerechte und feuchte Wundbehandlung sollte Standard der Behandlung sein. - Schmerz ist nicht zwangsweise Begleiter der Wundversorgung und sollte minimiert werden. - Verbandwechsel müssen nicht mehrfach täglich durchgeführt werden. - Moderne farblose Antiseptika wie Polihexanid und Octenidin wirken schnell, resistenzfrei und ohne Lokalreaktion. Im Gegenzug sind veraltete Vorgehensweisen kritisch zu überdenken und zu meiden: - Obsolete und entbehrliche Wirkstoffe kommen – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht mehr zur Anwendung: Lokalantibiotika, Ethacridinlactat (Rivanol®), Wasserstoffperoxid, Policresulen (Lotagen®).- Keine postoperative Nahtversorgung mit Aluo-der Silber-Sprays. - Bei auftretenden Wundheilungsstörungen – wie z.B. Nahtdehiszenzen – ist eine zeitnahe chirurgische Intervention anzustreben. - Der Einsatz systemischer Antibiotika erfolgt nach strenger Indikationsstellung und Prüfung der individuellen Begleitumstände (Anwendung nur im Einzelfall über 7 Tage). Resistente Bakterien (MRSA, MRSI, ESBL) verlangen zukünftig ein Umdenken: weg vom Antibiotikum hin zum modernen Antiseptikum. Literatur
[1] Beardsley, S.L. & Schrader, S.C. (1995): Treatment of dogs with wounds of the limbs caused by shearing forces: 98 cases (1975-1993). Journal of the American Veterinary Medical Association 207(8), 1071-1075. Foto: © Dr. med. vet. Susanne Janßen |
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