22.11.2024 19:46 - Über uns - Mediadaten - Impressum & Kontakt - succidia AG - Partner
Tierärzte & Kliniken > Dr. Eberhard Mettenleiter > Pferdeorthopädie mit Durchblick

Pferdeorthopädie mit Durchblick

Computertomografie verschafft dem behandelnden Arzt einen detailgetreuen Blick in den Körper, der durch herkömmliche Röntgen- und Ultraschalluntersuchungen nicht möglich ist. Dr. Eberhard Mettenleiter, Anke Köster und PhD Dr. Bianca Carstanjen stellen dar, dass die Ergebnisse von Computertomografieuntersuchungen des Pferdes bei bestimmten Krankheitsbildern – insbesondere aber bei orthopädischen Indikationen – eine schnellere und präzisere Diagnose und somit eine gezieltere Behandlung ermöglichen.

Um die Abbildungen zu sehen, laden Sie bitte die PDF-Datei runter

Als Conrad Wilhelm Röntgen 1895 die nach ihm benannten Strahlen entdeckte, begann eine neue Ära der Medizin. Zum ersten Mal konnte der Mediziner in den Körper blicken, ohne ihn aufzuschneiden. Da bei Röntgenaufnahmen der dreidimensionale Körper auf eine zweidimensionale Fläche abgebildet wird, gehen jedoch räumliche Informationen verloren und verschiedene Abbildungsschichten überlagern sich. Die Medizin löste dieses Problem ansatzweise durch Röntgenaufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln, ideal wäre jedoch eine vollständige dreidimensionale Darstellung. Zu Lebzeiten Röntgens wurden zwar die hierfür erforderlichen mathematischen Verfahren entwickelt. Die Verarbeitung der aus vielen verschiedenen Blickwinkeln aufgenommenen Röntgenaufnahmen zu einem hochaufgelösten, überlagerungsfreien Bild des Körperinneren erforderte jedoch zuerst die Verfügbarkeit leistungsfähiger Computer und digitaler Aufnahme- und Datenspeicherungstechnologien.
In den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war es soweit und die Computertomografie eröffnete der Medizin Einblicke in den Körper, wie sie vorher nicht möglich waren [1]. Nicht nur, dass die Geräte virtuelle „Schnitte“ (sog. Schichten) durch den Körper darstellten, in denen kleinste Details erkennbar waren, ohne dass Überlagerungen den Einblick störten. Mit der Zeit wurden leistungsfähigere Generationen von Computertomografie-Geräten entwickelt, die Schichtbilder zu dreidimensionalen Bildern zusammensetzten (Abb. 1). Mittlerweile werden mit Computertomografie standardmäßig Schichtaufnahmen nahezu aller Körperregionen aufgenommen und nicht nur Knochen, sondern auch Weichteilgewebe visualisiert (Abb. 2).

Neben den abbildenden Funktionen kann auch die Knochendichte mit hoher Genauigkeit vermessen werden. Ein Vorteil der Computertomografie, die beim Pferd noch eine Rolle spielen wird, ist die hohe Aufnahmegeschwindigkeit. In der Humanmedizin werden zum Beispiel bereits heute sehr schnelle Computertomografen routinemäßig in der Diagnostik und Therapie von Herz- und Gefäßerkrankungen, Erkrankungen von Oberbauchorganen, zur virtuellen Endoskopie oder bei polytraumatisierten Patienten eingesetzt. In der Pferdeheilkunde wird die Computertomografie erst seit den späten 80er- Jahren eingesetzt, da der Patient Pferd den Mediziner vor besondere Herausforderungen stellt. Der Aufbau medizinischer Computertomografiegeräte ist auf Menschen ausgerichtet, sodass zunächst die Größe und das Gewicht des Pferdes (ein Warmblüter wiegt ungefähr 550 kg) den Anwendungsbereich einengen (Abb. 3).
Die Sensoren des Geräts bewegen sich auf einer ringförmigen Struktur, in deren Mitte der untersuchte Körperteil platziert wird. Wenn die Ringöffnung (Gantry) auf typischerweise 70 cm Durchmesser und der Messbereich auf 50 cm Durchmesser beschränkt ist, muss der zu untersuchende Körperteil durch den Ring passen und der zu untersuchende Bereich des Körpers sollte im Messbereich liegen (Abb. 3). Aufgrund der räumlichen Begrenzung der Ringöffnung des Computertomografiegeräts beschränken sich derzeit Computertomografieaufnahmen des ausgewachsenen Pferdes auf Schädel, obere Halswirbelsäule und Beine. Abhängig vom Gerät kann das Vorderbein vom Huf bis zum Ellbogen untersucht werden, wohingegen das Hinterbein vom Huf bis zum Knie untersucht werden kann [2,3,4]. Aufgrund des deutlich höheren Gewichts wird das Pferd außerdem auf einem eigens für das Gewicht eines Pferdes konstruierten Tisch gelagert. Andererseits sollte sich der Patient während der Untersuchung möglichst nicht bewegen, um eine hohe Aufnahmequalität zu gewährleisten. Beim Menschen ist das in der Regel kein Problem, aber beim Pferd – auch wenn es sediert ist – eine schwer zu bewerkstelligende Anforderung. In den meisten Fällen wird deshalb das Pferd unter Vollnarkose untersucht. Die Vollnarkose stellt insbesondere bei langen Untersuchungszeiten ein Risiko dar. Die Computertomografie ist im Vergleich zu anderen abbildenden Verfahren ein schnelles Abbildungsverfahren. Dreidimensionale Aufnahmen in hoher Detailtreue können je nach Fall durchaus in Sekunden ausgeführt werden. Dies reduziert die Strahlenbelastung und das Narkoserisiko. Ein anderer Ansatz ist die vollständige Vermeidung der Vollnarkose und der damit verbundenen Risiken und Kosten. Seit Kurzem werden zu diesem Zweck Computertomografiegeräte erprobt, die zur Untersuchung von ausgewählten Strukturen wie beispielsweise der distalen Gliedmaße am stehenden sedierten Pferd Anwendung finden [5].

In der Pferdeorthopädie stellt die Computertomografie ein wertvolles Verfahren dar, wenn herkömmliche bildgebende Techniken an ihre Grenzen stoßen. Bei einem nicht zu vernachlässigenden Prozentsatz an Pferden mit Erkrankungen des Bewegungsapparates kann die Lahmheitsursache mittels diagnostischer Anästhesien auf eine bestimmte Körperregion begrenzt werden; die genaue Ursache der Lahmheit kann jedoch mit den konventionellen bildgebenden Verfahren nicht festgestellt werden [6,7]. So erlauben die Computertomografie wie auch die Kernspintomografie veränderte Knochen- und Weichteilstrukturen innerhalb der Hufkapsel darzustellen, selbst wenn Röntgenbilder und Ultraschall keinerlei auffällige Befunde zeigen [6,7,8]. Veränderungen der Knochenkontur und der Knochendichte – wie beispielsweise im Falle einer fortgeschrittenen Arthrose oder einer Knochenzyste – können in verschiedenen Schnittebenen ohne Überlagerung dargestellt und somit eindeutiger interpretiert werden. Die Computertomografie eignet sich außerdem hervorragend zur quantitativen Bestimmung und Beurteilung der Dichte von trabekulärem und kortikalem Knochen wie beispielsweise im Falle der „Schienbeinerkrankung“ des jungen Rennpferdes. Nach Verabreichung eines Kontrastmittels können Veränderungen der Gelenkknorpel und intrasynoviale Strukturen in verschiedenen Ebenen und ohne Überlagerung der Schnittebenen computertomografisch dargestellt werden [4]. In ausgewählten Fällen erleichtert und verbessert der Einsatz der Computertomografie die Durchführung von chirurgischen Eingriffen in der Pferdeorthopädie (Abb. 4). So können beispielsweise Knochenzysten unter computertomo grafischer Kontrolle präzise dargestellt (Abb. 5) und chirurgisch versorgt werden. Die dreidimensionale computertomografische Darstellung von Knochenbrüchen erleichtert und verbessert die Rekonstruktion der Fragmente und die chirurgische Versorgung des Patienten [9].

Zwei Fallbeispiele aus der Praxis

Fall 1- „Victor“, ein 10-jähriger Reitponyhengst, zeigte eine chronische Lahmheit im Bereich des linken Vorderbeins. Die Ursache der Lahmheit wurde mittels diagnostischer Anästhesien auf das Krongelenk der linken Vordergliedmaße begrenzt. Die in verschiedenen Ebenen aufgenommenen Röntgenbilder der Region des Kronbeins ergaben eine Zyste im Bereich des distalen Kronbeins mit Gelenkbeteiligung. Zur weiteren Diagnostik und für die Planung der chirurgischen Versorgung wurde eine Untersuchung der linken distalen Vordergliedmaße im Spiral-Computertomografen durchgeführt. Die Computertomografie erlaubte durch ihre multiplen überlagerungsfreien Schnittbilder in verschiedenen Ebenen (Abb. 5) die Kron beinzyste exakt darzustellen. Basierend auf den mittels Computertomografie erhaltenen Befunden konnte „Victor“ erfolgreich unter computertomografischer Kontrolle operiert werden. Fall 2- „Surprise“, eine 6-jährige Warmblutstute, zeigte eine seit über einem Jahr bestehende deutliche Lahmheit im Bereich des rechten Vorderbeins. Nach einer Lahmheitsuntersuchung mit diagnostischen Anästhesien konnte die Ursache der Lahmheit auf den Bereich des Hufes eingegrenzt werden. Die Röntgenuntersuchung der rechten Zehe und des Strahlbeins in verschiedenen Ebenen ergab keinen Befund. Die Ultraschalluntersuchung der inneren Strukturen des Hufes durch die Hufsohle war nur eingeschränkt möglich und ergab keinen Befund. Zur weiteren Diagnostik wurde eine Untersuchung der distalen Glied maße im Spiral- Computertomografen durchgeführt. Die computer tomo grafische Untersuchung ergab ein Fragment im Bereich des Lig. Sesamoideum distale impar der rechten Vordergliedmaße (Abb. 6 A,B). Basierend auf den mithilfe von Computertomografen erhobenen Befunden wurde „Surprise“ behandelt und mit einem Spezialbeschlag beschlagen.

info@pferdeklinik-sudenhof.de

HKP 2 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 2 / 2011.
Das komplette Heft zum kostenlosen Download finden Sie hier: zum Download

Die Autoren:

Weitere Artikel online lesen

Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.