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Notfallversorgung und Intensivmaßnahmen beim Vogelpatienten

Wenn es schnell gehen muss

In den letzten Jahren hat die Haltung von Exoten als Haustiere stark zugenommen. Hierbei werden Vögel regelmäßig als Familienmitglied angesehen. Aus diesem Grund steigt auch die Nachfrage nach anspruchsvolleren Behandlungen an die Tierärzte. Allerdings stellen Vögel besondere Ansprüche, die Tierärzte regelmäßig vor Herausforderungen stellen.

Abb. 3 Blaustirnamazone mit intraossärem Zugang in der Ulna an der Dauertropfinfusion.

Die hohe metabolische Rate sowie die hohe Herzschlagfrequenz der Vögel machen sie z.B. anfällig für kardiovaskuläre Schock­zustände. Für den aviären Notfallpatienten ist es daher am wichtigsten, dass schnell gehandelt wird. Aus diesem Grund sollte die ganze Notfallausrüstung immer vorbereitet und griffbereit sein. Dies kann bei einem Notfall Leben retten. Da Vögel sehr symptomarm sind und zudem klinische Veränderungen erst sehr spät zeigen, sind viele Vogelpatienten als Notfälle anzusehen.

Wichtige Untersuchungspara­meter eines Notfallpatienten

Ist ein Vogelnotfall angekündigt, sollten Vorbereitungen bereits schon vor der Ankunft des Patienten getroffen werden. Hierzu gehört, dass Infusionslösungen griffbereit und aufgewärmt zur Verfügung stehen.

// Um die Situation richtig einschätzen zu können, sollte der Patient direkt bei ­Ankunft in der Praxis adspektorisch ­begutachtet werden. Oftmals führt der Transportstress zu einer Verschlimmerung der Symptome und erfordert sofortiges Handeln. Sollte der Patient bereits in Seiten- oder Bauchlage eintreffen, müssen vor der eigentlichen Untersuchung und der Anamnese lebenserhaltende Maßnahmen ergriffen werden. Wichtige Parameter zur Einschätzung des Notfalles sind: Wie kommt der Pa­tient in der Praxis an? Sitzt er noch aufrecht? Kann er sich auf einer Stange halten oder sitzt er auf dem Boden? Liegt er möglicherweise bereits?

// Wie ist die Atmung des Patienten? Hat er akute Atemnot?

// Sind äußere Verletzungen sichtbar?

// Wie sehen die Ausscheidungen des ­Patienten aus? Sind möglicherweise blutige Bestandteile darunter?

Nach der Einschätzung der Schwere des Notfalles sollte eine ausführliche Anamnese durchgeführt werden. Oftmals können die Besitzer zur Aufklärung der Ursache beitragen. Lässt der Zustand des Patienten es nicht zu, vor der Untersuchung mit dem Besitzer zu sprechen, kann eine zweite Person die Anamnese durchführen. So können wichtige Zeit gespart und möglicherweise lebenswichtige Informationen gewonnen werden.

Bei einem Notfallpatienten sollte zügig gearbeitet werden, um den Stress für den Patienten so gering wie möglich zu halten. Ist der Vogel in einem sehr schlechten ­Zustand oder stark gestresst, ist es von Vorteil, den Patienten leicht zu sedieren, um einem Kollaps vorzubeugen. Bei Papageien eignet sich hierfür besonders Midazolam [1], da es per Nasentropfen verabreicht werden kann. Die klinische Erstuntersuch­ung des Notfallpatienten sollte immer eine Auskultation und die Überprüfung des Venendruckes beinhalten. Hierfür kann die V. jugularis oder die V. cutanea ulnaris kurz angestaut und der Rückfluss begutachtet werden. Bei kreislaufinstabilen Patienten bleibt die Vene an der Druckstelle für kurze Zeit leer und das Gefäß staut sich nur schlecht an. Neben den Standardparametern, die zur klinischen allgemeinen Untersuchung zählen (Körperkondition, Atmung, Schleimhautfarbe und Hydrationszustand), sollte im Vogelnotfall – wenn möglich – eine Hämatokritkontrolle erfolgen. Hierfür wird nur ein kleiner Tropfen Blut benötigt, der eine gute Einschätzung des Notfalles geben kann. Bei Vögeln sollte der Normalwert je nach Spezies zwischen 35% und 55% liegen. Bei chronischen Atemwegserkrankun­gen steigt er oftmals über 60% und kann dadurch zu einer massiven Belastung der Organe, besonders der Niere führen. Ein chronisches Absinken des Hämatokritwerts können die meisten Vogelpatienten im Gegensatz zu den Säugetieren sehr gut tolerieren. Bei akutem Blutverlust kann mit einer Transfusion schnell gegengesteuert werden (siehe unten). Nach der ersten Einschätzung des Patienten sollte die Versorgung des Patienten zeitnah erfolgen. Um den Vogelnotfall adäquat versorgen zu können, wird nur wenig spezielles Equipment benötigt, das über die bereits vorhandenen Mittel einer standardmäßig ausgestatteten Tierarztpraxis hinausgeht.

Notfallausrüstung

Sauerstoff

Einer der häufigsten Notfälle beim Vogelpatienten ist Dyspnoe. In diesem Falle ist die Zuleitung von Sauerstoff zum Patienten eine wichtige lebenserhaltende Maßnahme (Abb.1). Hierfür wird der Patient in einer abgedunkelten kühlen Sauerstoffbox stabilisiert. Bei Patienten in Seitenlage kann es indiziert sein, den Vogel zu sedieren und mit einem Tubus zu versorgen. Bei Obstruktion der Trachea muss hier ein Luftsacktubus gelegt werden, was eine retrograde Beatmung des Tieres ermöglicht (Abb.2). Der Luftsacktubus wird hinter der letzten Rippe in den Luftsack eingeführt und an der Haut befestigt. In einigen Fällen kann er bis zu mehreren Tagen dort verbleiben.


Abb. 1 Sauerstoffzufuhr bei einem Graupapagei über eine Kopfmaske.
Eine gute Art der Applikation bei zahmen Vögeln oder Patienten, die sich in Seitenlage befinden.


Abb. 2 Der Luftsacktubus wird unter Seda­tion oder Anästhesie hinter der letzen Rippe in den Luftsack gelegt.

Infusion

Die meisten Vogelnotfallpatienten befinden sich in einem Schockzustand. In diesen Fällen ist es lebenswichtig, eine Infu­sionstherapie zu starten. Da bei vielen Fällen der Kreislauf bereits zentralisiert ist, wird eine subkutane Flüssigkeitsapplika­tion nicht mehr ausreichend resorbiert. Um eine schnelle Wirkung zu erzielen, muss die Infusion daher venös verbreicht werden [2]. Diese kann als Bolus mit initial 5ml/kg oder besser als Dauertropf verabreicht werden (Abb.3) [3]. Der Zugang kann in die V. cutanea ulnaris oder die V. femoralis gelegt werden. Bei kleinen Pa­tienten empfiehlt sich die intraossäre Applikation (Abb. 4–6). Hierbei wird der Intraosseus-Katheter vorzugsweise in die Ulna gelegt, kann aber auch in den Tibiotarsus platziert werden [3]. Durch eine Röntgenaufnahme in zwei Ebenen wird der korrekte Sitz des Katheters kontrolliert. Die Infusionsrate hängt hier vom Zustand des Patienten ab. Kurzzeitig können 20–40ml/kg/h verabreicht werden [3]. Eine genaue Berechnung der therapeutisch notwendigen Menge ist bei dehydrierten Patienten angezeigt. Diese berechnet sich aus Dehydrierungsgrad in% x kg x 1000ml = Flüssigkeitsdefizit (ml) [4]. Zur Erhaltung reichen 2ml/kg/h aus, die über mehrere Stunden verabreicht werden können. Insbesondere kleinere Vögel zeigen regelmäßig eine Hypoglykämie, sodass eine Notfallinfusionslösung, bestehend aus 1:1-Ringer-Lösung (laktatfrei) und 5% Glucose angeraten ist. Über kurze Zeit können auch Vertreter carnivorer Spezies mit der Glucosemischung anbehandelt werden. Als Dauertherapie ist sie bei diesen Spezies aufgrund des Risikos einer Hyperglykämie nicht angeraten. Es ist unbedingt darauf zu achten, dass die Infusionslösung auf Körpertemperatur des Vogels angewärmt ist, um einer Hypothermie des Vogels vorzubeugen. Hierfür eignen sich Infusiomaten und Infusionswärmer (iWarm™ IV Fluid Warmer, MIDMARK), aber auch andere Wärmequellen wie mit warmen Wasser gefüllte Handschuhe.


Abb. 4 Zugangspunkt für den Intraosseus­katheter an der Ulna bei einer sedierten Taube unter lokaler Anästhesie.


Abb. 5 Überprüfung des Sitzes des Intraosseus-Katheters mittels Röntgenaufnahme.


Abb. 6 Eine Röntgenkontrolle in zwei Ebenen überprüft den korrekten Sitz des Intraosseus-Katheters. Zusätzlich kann bei Applikation von Flüssigkeit als Bolus ein „Weißwerden“ der Flügelvene beobachtet werden.

Wärme

Wärme ist zur Stabilisierung des Notfall­patienten dringend angeraten, um einem weiteren Energieverlust und einer Unterkühlung vorzubeugen. Vögel haben eine physiologische Körpertemperatur je nach Spezies von 39° bis 41°C. In Notfallsitua­tionen sinkt diese sehr schnell auf ein lebensbedrohliches Maß ab. Zudem investiert der Patient sehr viel Energie zur Thermoregulation, um dem Absinken der Temperatur entgegenzuwirken. Die Patienten sollten daher in eine Klimabox gesetzt werden, die sich sowohl in der Temperatur als auch ich der Luftfeuchte regulieren lässt (Abb.7). Es muss hierbei unbedingt sichergestellt werden, dass der Vogel nicht überhitzt. In Notfallsituationen können auch eine Rotlichtlampe oder andere Wärmequelle (z.B. mit warmem Wasser gefüllte Latexhandschuhe als Wärmeflasche) helfen, wobei hier unbedingt die Rotlichtquellen zu bevorzugen sind. Der Patient muss hier jedoch mittels Thermometer überwacht werden, um einer Überhitzung vorzubeugen.


Abb. 7 Graupapagei in einer Klimabox.

Notfallmedikamente

Medikamente für den Notfall sollten immer griffbereit bereitstehen, beschriftet und farblich zu unterscheiden sein, um eine Fehlapplikation zu vermeiden. (Abb.8). Zur Überwachung des Patienten und um ein schnelles Eingreifen zu ermöglichen, sollte der Notfallvogel blutdrucküberwacht werden. Zur Stabilisation des Blutdrucks können abwechselnd Plasmaexpander und hypertone Lösung zum Einsatz kommen. Plasmaexpander sind hyperonkotische oder isoonkotische Lösungen, die makromolekulare Kohlenhydrate oder Proteine enthalten. Natürliche Plasmaexpander sind Blut, Plasma (isoonkotisch) und Albumin (hyperonkotisch), künstliche Plasmaexpander sind auf Hydroxyethylstärke – oder Gelatinebasis (hyperonkotisch). Die in einem Plasmaexpander gelösten Makro­moleküle können die Gefäßwand nicht überschreiten und erhöhen dadurch den onkotischen Druck innerhalb des Gefäßes. Zusätzlich sorgen sie für eine Verlagerung von Flüssigkeit aus dem extravasalen Raum. Darüber hinaus binden sie Wasser und stabilisieren in der Folge das Blutvolumen. Erfolgt kein Anstieg des Blutdrucks, kann die hypertone Lösung eingesetzt werden, die dem zellulären Raum rapide Flüssigkeit entzieht und somit den Blutdruck kurzfristig erhöht. Die indirekte Blutdruckmessung beim Vogel ist in Bezug zu Vergleichs-Referenzwerten recht ungenau. In der Literatur werden Normalwerte von 120mmHg bis 200mmHg des systolischen Wertes angegeben. Der diastolische Wert ist schwer zu messen und nicht ausreichend aussagefähig. Die direkte Blutdruckmessung ist nur bei größeren Vogelspezies möglich. Trotzdem ist die Blutdruckmessung ein sehr wichtiges Hilfsmittel in der Versorgung von Vogelpatienten. Hierbei ist besonders wichtig, die individuellen Werte des Patienten richtig zu interpretieren. Beispielsweise kann ein Patient bei 100mmHg stabil sein, ein anderer, der starke Schwankungen aufweist, dagegen nicht. Wenn der Patient allerdings unter 90mmHg absingt, sollten sofortige Notfallmaßnahmen ergriffen werden. Insgesamt sind besonders Blutdruckschwankungen und ein plötzliches Absinken diagnostisch wertvoll [5].


Abb. 8 Die Notfallmedikamente sollten griffbereit, vorbereitet und eindeutig gekennzeichnet bereitstehen.

Herzschlag und Puls sollten beim Vogel­patienten regelmäßig überprüft werden. Manuell sollte der Patient alle zwei bis drei Minuten auskultiert werden. Der Puls kann dauerhaft mithilfe eines Dopplers überwacht werden. Bei kardialer Arrhythmie und starken Blutdruckschwankungen kann Atropin verabreicht werden. Adrenalin wird analog zum Kleintier bei Kammerflimmern und kardialem Arrest eingesetzt. Die Überwachung des Notfallpatienten spielt in der Vogelmedizin eine große Rolle. Durch den raschen Stoffwechsel können Änderungen im Zustand des Patienten sehr schnell eintreffen. Eine Überwachung mittels eines Monitors, welcher EKG, Blutdruck, Temperatur und Atemfrequenz misst, ist einer manuellen Überwachung stets vorzuziehen. Die meisten Systeme aus der Kleintiermedizin lassen sich auch an einen Vogel anschließen. In vielen Fällen muss nur eine kleinere Blutdruckmanschette zugekauft werden. Doxapram sollte nur im äußersten Notfall bei Aponoe zur Atemstimulation eingesetzt werden, da es durch die Blockade der Rezeptoren nur einmalig eingesetzt werden kann. Eine ­manuelle oder maschinelle Beatmung mit Intubation ist hier zunächst vorzuziehen. Die Atemfrequenz variiert je nach Spezies massiv. Generell gilt, je kleiner der Vogel, umso höher ist die Atemfrequenz. Eine natürliche Atemfrequenz ist weder mit einer manuellen noch mit einer maschinellen Beatmung zu erreichen. Eine Frequenz von 60 Atemzügen pro Minute ist jedoch für den ­Vogelpatienten im Notfall ausreichend.

take home

Die Vogelmedizin hat sich in den ­letzen Jahren signifikant weiterentwickelt. Standards aus der Humanmedizin haben ihren Weg in die Exotenmedizin gefunden. Durch die neuen und verbesserten Notfallmaßnahmen und besonders die Narkoseüberwachung haben sich die Überlebenschancen für den Vogelnotfallpatienten deutlich verbessert.

Literatur bei den Autoren

Lesen Sie in der nächsten Ausgabe: Was sonst noch wichtig ist – Bluttransfusion und Notoperationen

Fotos: © Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische

Stichwörter:
Notfallpatienten, Transportstress, Notfallpatienten, Papageien, Dyspnoe, Hämatokritkontrolle, Sauerstoffbox, Obstruktion, Trachea, sedieren, Tubus, Luftsacktubus, Infu­sionstherapie, zentralisiert, Flüssigkeitsapplika­tion, laktatfrei, Hypoglykämie, Glucosemischung, makromolekulare, Kohlenhydrate, hyperonkotisch, isoonkotisch, Blutdruckmessung, Atemfrequenz, Überlebenschancen,

HKP 5 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 5 / 2014.
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Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.