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Anästhesierisiko richtig einschätzen

Begründete Sorge?

Vor einer Operation stellen die Anästhesie und das damit verbundene Risiko oft die größte Sorge des Tierhalters dar. Es handelt sich meist um Angst vor einem Todesfall (Mortalität) oder auch vor gesundheitlichen Folgeschäden (Morbidität). Leider scheint diese Sorge in der Tiermedizin nicht ganz unberechtigt zu sein.

Mortalität

Tatsächlich gibt es mittlerweile einige statis­tische Erhebungen zur perioperativen Mortalität (Tab.1). Nicht nur im Vergleich zu den sehr niedrigen Mortalitätsraten in der Humanmedizin, sondern auch a-sé-stante sind die Resultate dieser Studien alarmierend – dies zudem vor dem Hintergrund der enormen Wissensentwicklung in der Anästhesie, u.a. seit der Gründung des ­Europäischen Colleges für Anästhesie und Analgesie 1995. Diese Wissensentwicklung wird auch im internationalen Raum geschätzt, so haben sich die Tierärzte Großbritanniens auf die Befragung, welches die größten Errungenschaften der Tiermedizin in den letzten 125 Jahren seien, mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, dass dies die Entwicklung der Anästhesie sei (Artikel im Veterinary Record März 2014).


Tab.1 Mortalität in der Anästhesie
Gesund = ASA 1 und 2 (Definition von ASA-klassen siehe Bild 1), Krank = ASA 3 bis 5

Dennoch bleiben hohe Mortalitäten bestehen. Die Frage nach Gründen und Risikofaktoren dazu drängt sich auf. Die vorliegenden Studien erlauben einige Rückschlüsse: Der Gesundheitszustand (ASA-Klasseneinteilung, American Society of Anesthesiologists, siehe Tab. 2), die Dauer und Komplexität der Intervention sowie die Dringlichkeit einer Anästhesie (Notfall vs. elektiver Eingriff) sind sehr wichtige Faktoren. Darüber hinaus spielen Alter und (Über-)Gewicht eine große Rolle, aber auch die Größe des Tieres, wobei beim Kleintier kleinere und beim Pferd großrahmige Tiere besonders gefährdet sind. Ebenso wurden Faktoren des Anästhesiemanagements identifiziert: Beim Kleintier z.B. die Verwendung von Xylazin, Monoanästhesien mit Inhalationsanästhetika, der Einsatz von Infusionstherapie oder auch der Intubation, während beim Pferd z.B. das Nichtverwenden einer Prämedikation, Monoanästhesie mit Inhalationsanästhetika und Anästhesie abends, nachts oder am Wochenende Mortalitätsfaktoren sind. Die Hintergründe dieser Einflüsse lassen sich ferner weiter analysieren und in patienten-, eingriffs- und anästhesieführungsbedingte Faktoren unterteilen.


Tab.2 ASA-Klasseneinteilung mit Beispielen

Patientenbedingte Faktoren

Kranke, alte und Tiere mit für ihre Tierart untypischer Größe haben ein erhöhtes ­Anästhesierisiko in allen Spezies. Die korrekte Erfassung der ASA-Klasse sprich des gesundheitsbedingten Risikos für jeden einzelnen Patienten ist dabei von großer Bedeutung, da sie das Anästhesiemanagement entscheidend beeinflusst. Dies ist der chronologisch erste Kontakt mit dem Anästhesisten, der daraufhin Medikamentenauswahl, -dosierungen und -applikationsarten bestimmt. Während unzählige anekdotale Informationen und Sorgen bezüglich der besonderen Empfindlichkeit einzelner Rassen auf bestimmte Anästhetika im Umlauf sind, gibt es wenig medizinisch-wissenschaftliche Bestätigung hierzu. Klar ist, dass Windhundrassen barbituratempfindlich sind. Dass Collies, Australian Shepherds und Shelties zu den Rassen mit hoher Inzidenz zum sogenannten MDR1-Defekt zählen, ist ebenfalls weitgehend wissenschaftlich belegt. Es handelt sich dabei um eine Defizienz der Bluthirnschranke, die sich in erster Linie auf Antiparasitika (makrozyklische Laktone) erstreckt, aber eben auch auf die Opioide und Phenothiazine, beides in der Anästhesie verwendete Medikamentengruppen.

Des Weiteren tritt bei Französischer Bulldogge, Mops u.ä. Rassen häufig das sogenannte brachycephale Syndrom auf, bei Yorkshire Terrier und Chihuahua kann die Trachea kollabieren. Bei Dogge und Dobermann (große Rassen) wird häufig dilatative Kardiomyopathie diagnostiziert, bei Cavalier King Charles Spaniel, Yorkshire und anderen kleinen Terriern häufig Mitralklappeninsuffizienzen. Dagegen wird hypertrophe Kardiomyopathie häufig bei Maine Coon, Persern und norwegischen Waldkatzen festgestellt, polycystische Nieren stellen darüber hinaus bei Persern ein häufiges Problem dar. Rassedispositionen für bestimmte Erkrankungen sind unbestritten und stellen einen wichtigen Abschnitt der präanästhetischen Untersuchung dar.


Tab.3 Morbidität

Eingriffsbedingte Faktoren

Hierzu gehören die Dauer des Eingriffes, seine Invasivität, die Erfahrung des Chirurgen sowie auch die Lokalisation; z.B. sind Mortalitäten bei Eingriffen an der Halswirbelsäule höher als an der Brustwirbelsäule (Anästhesiefachbegriff: head-and-neck-surgeries). Für bestimmte Eingriffe beim Pferd ist ebenfalls die Mortalität erhöht, z.B. bei orthopädischen oder abdominalen Eingriffen oder Geburtsschwierigkeiten (perio­perative Mortalität von 21%).

Anästhesieführungsbedingte Faktoren

Die richtige Einschätzung des Anästhesierisikos steht chronologisch an erster Stelle, gefolgt von der Medikamentenzusammenstellung, deren Dosierungen sowie dem Gebrauch bestimmter Klassen von Schmerzmitteln (Opioide und NSAIDs beim Kleintier). Die Vertrautheit und Erfahrung mit dem Anästhesieprotokoll, den eingesetzten Techniken und der intraoperativen Überwachung (sowohl apparativ als auch nichtapparativ) folgen als entscheidend beeinflussende Faktoren in der Chronologie des Ablaufs. Es ist zuletzt dann sehr interessant, dass 50–60% der Mortalität bei Hunden, Katzen und Kaninchen in der Aufwachphase passieren – also zu einem Zeitpunkt, an dem der Patient ohne spezielle Überwachung belassen wird.

Morbidität

Morbidität ist ein wenig untersuchtes Problem in der Tiermedizin und bedarf dringend weiterer Abklärung. Einige Daten sind jedoch vorhanden und in Tabelle 3 zusammengefasst.

Mögliche Lösungsansätze

Es ist insgesamt eine erstaunliche Diskrepanz zwischen den erschreckenden Zahlen der Mortalitäts- und Morbiditätsstatistiken und der klaren Sachlage festzustellen, dass sich die Anästhesie als tiermedizinische Fachrichtung stark entwickelt hat. Dieses Missverhältnis ist nur zum Teil den patientenbedingten Faktoren zuzuordnen, da sich die Anzahl und Schwere der Dispositionen nur unwahrscheinlich wesentlich ändert. Es scheinen aber 1. die zunehmende Lebenserwartung der Tiere und 2. die steigende Komplexität der Eingriffe entscheidende Faktoren zu sein. Bei beiden Entwicklungen handelt es sich um durchaus gewünschte Veränderungen. Es liegt also die Vermutung nahe, dass sich das Anästhesiemanagement (Risikoeinschätzung, Einsatz von Analgetika und Prämedikationen, Anästhesieausbildung sowie Überwachung während und nach der Anästhesie) noch nicht überall diesen veränderten Bedingungen angepasst hat. Hoffnung auf Lösungen entsteht durch Medikamentenzulassungen seitens der Pharmaindustrie, Ausbildungsmöglichkeiten in der Anästhesie sowie die bessere Zugänglichkeit zu Anästhesiefachpersonal und Geräten. Diese Entwicklung kann des weiteren durch Sofortmaßnahmen wie bessere Aufklärung der Tierhalter (die zur Nachfrage nach besserer Überwachung führt) und bessere Planung durch Checklisten vor der Anästhesie flankiert werden.

Tierhaltergespräch und -einwilligung

Im Rahmen der präanästhetischen Unter­suchung lässt sich eine umfassende Aufklärung (in mündlicher oder zur Not auch schriftlicher Form) über mögliche Risiken auf Morbidität und Mortalität sehr gut einfügen. Hier ist es auch möglich darauf hinzuweisen, dass für bestimmte Tiere eine Allgemeinanästhesie mit sicheren Atem­wegen, Sauerstoffzufuhr und gutem Monitoring sicherer sein kann als eine starke Sedation. Loko-regionalanästhetische Techniken können zusätzlich erwähnt werden. Mit der Unterzeichnung einer Einverständniserklärung macht auch der Halter deutlich, dass den durchaus hohen Risiken entsprechend Rechnung getragen wird und er informiert wurde. Von tierärztlicher Seite trägt man so aber nicht nur dem medizinischen Bedürfnis nach Aufklärung bei, sondern kann seine Position auch rechtlich mithilfe der beschriebenen Statis­tiken absichern. In der Regel sollte der Halter vor jeder Anästhesie eine Einverständniserklärung unterschreiben.

Anästhesieplanung – Anästhesiechecklisten

„Es gibt kein sicheres Anästhesieprotokoll, es gibt nur sichere Anästhesisten.“ Nicht jeder Patient ist gleich und mit den obigen Angaben zur Risikoanalyse können Pa­tienten mit besonderen Risikofaktoren identifiziert werden und besser überwacht werden, um Komplikationen vorzubeugen. Die Vorbereitung der Anästhesie beinhaltet Utensilien und Geräte, die gegebenenfalls zu testen sind und die je nach Praxis und einzelner Anästhesieführung variieren. Sehr oft fällt es am leichtesten, mit Checklisten zu arbeiten. Eine Checkliste auf Englisch ist bei der Association of Veterinary Anaesthetists (http://www.ava.eu.com/ Kapitel Education) erhältlich. Prinzipiell ist es wichtig, sich vorher über zu erwartende Komplikationen (patienten-, eingriffs- und managementbedingt) Klarheit zu verschaffen und das Anästhesieprotokoll entsprechend zuzuschneiden.

take home

Die Zahl der gut ausgebildeten und erfahrenen Anästhesisten (z.B. Dipl ECVAA) an universitären und anderen Institutionen hat in der Zwischenzeit stark zugenommen, sodass schwierige Fälle entweder dorthin überwiesen oder ein solcher Facharzt in die Praxis gerufen werden kann. Die Qualität der anästhetischen Versorgung sollte mindestens derjenigen der interventionellen (nicht nur chirurgischen) angepasst sein.

Foto: © istockphoto.com, BriArt

HKP 7 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 7 / 2014.
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Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.