Labordiagnostik
Bringt das was beim Heimtierpatienten?
Labordiagnostik beim Kleinsäuger – lohnt das? Betrachtet man die steigende Zahl der in der tierärztlichen Praxis vorgestellten Heimtierpatienten und den ebenso wachsenden Wunsch der Besitzer nach entsprechender Diagnostik und Therapie, muss man die Frage eindeutig mit Ja beantworten. Dr. Jutta Hein geht auf die Möglichkeiten und Besonderheiten der Labordiagnostik bei Kleinsäugern ein und führt auf, was zu tun ist, bis der Befund vorliegt.
Kleinsäuger werden meist mit sehr unspezifischen Symptomen wie „Anorexie“, „blutiger Ausfluss“ und/oder „Durchfall“ in der tierärztlichen Praxis vorgestellt. Haltungsund fütterungsbezogene Anamnese, klinische Untersuchung und bildgebende Diagnostik (Röntgen, Sonografie etc.) liefern zwar oft schon wesentliche Hinweise auf die Grundursache, manche Fragestellungen kann aber bei Kleinsäugern nur die Labordiagnostik klären. Je nach Fragestellungen können Urin-, Kot- und Blutuntersuchungen durchgeführt werden, aber auch Untersuchungen von Abstrichen, Punktaten und Gewebeproben.
Urinuntersuchung
Die Anlässe für eine Untersuchung des Urins sind vielfältig: blutiger Ausfluss, Verfärbungen, Harnabsatzstörung, Polyurie und/oder die Überprüfung der Nierenfunktion, z.B. vor der Gabe eines nichtsteroidalen Antiphlogistikums. Urin kann auch bei Kleinsäugern einfach durch Auffangen, manuelles Ausdrücken der Blase oder Zystozentese gewonnen werden. Welche Gewinnungsart genutzt wird, hängt davon ab, welche Untersuchung durchgeführt werden soll. Die makroskopische Begutachtung von frischem Urin dient der Beurteilung von Farbe, Geruch, Beimengungen (Blut, Eiter, Kristalle) und Konzentration. Bei gesundem Urogenitaltrakt sollte ein gut konzentrierter (kräftig gelbgefärbter), aromatisch riechender Urin ohne Beimengungen gewonnen werden. Eine leichte Beimengung von Calciumkristallen (Sludge) wird bei Kaninchen und Meerschweinchen (nahrungsabhängige Aufnahme und renale Elimination) noch als physiologisch angesehen. Starke Kristallansammlungen und sandige Verfärbungen sollten aber auch bei ihnen in jedem Fall diätetisch und therapeutisch angegangen werden. Das urinspezifische Gewicht (USG) bei intakter Nierenfunktion sollte auch beim Kleinsäuger außerhalb des isostenurischen Bereichs (1008 – 1012) liegen. Den konzentriertesten Urin der Kleinsäuger haben Hamster und Wüstenrennmäuse mit zumeist über 1040. Kaninchen und Meerschweinchen haben häufiger sludgebedingte, subklinische Cystitiden, die über eine Interferenz an den ADH-Rezeptoren zu einem Abfall des USG (meist 1010 – 1025) führen können. Bei Bestimmung von Urinteststreifenparametern aus aufgefangenem und ausgedrücktem Urin muss berücksichtigt werden, dass diese bakteriell kontaminiert sein können und deshalb positive Leukozyten- und Nitritfelder immer durch eine Untersuchung des Sediments verifiziert werden sollten. Hämaturie und Proteinurie sind gerade bei Meerschweinchen häufig Folge des Ausdrückens und müssen kritisch beurteilt werden. Untersuchungen des Sediments und bakteriologische Untersuchungen sollten nur aus Zystozentese-Urin durchgeführt werden, um Verunreinigungen aus den harnableitenden Wegen und der Urogenitalregion zu vermeiden.
Kotuntersuchung
Einer der häufigsten Vorstellungsgründe bei Herbivoren (Kaninchen, Meerschweinchen, Chinchilla und Degu) ist „Durchfall“. Um zielgerichtet untersuchen zu können, muss zunächst zwischen intermittierendem und kontinuierlichem Durchfall unterschieden werden. Bei intermittierendem Durchfall (zwischendurch Absatz von geformtem Kot) handelt es sich meist um nicht aufgenommene Caecotrophe (Blinddarmkot). Die Ursache hierfür ist entweder in einem körperlichen Problem (Adipositas, Wirbelsäulenprobleme etc.) zu suchen, das verhindert, dass das Tier den Blinddarmkot vom After aufnehmen kann, oder in einer meist fütterungsbedingten caecalen Dysbiose, die anamnestisch abgeklärt und therapiert werden sollte (vermehrte Fütterung von Rohfaser und Reduktion von Kohlenhydraten, Antibiose, um die gram-negative Darmflora zu reduzieren, Prä- und Probiotika). Bei kontinuierlichem Durchfall sollte das Augenmerk auf fütterungsbedingte Störungen und auf Infektionen (Endoparasiten, Hefen, Dysbakterien) gerichtet werden. Je nach Verdacht können unterschiedliche Verfahren verwendet werden. Kot kann zunächst makroskopisch auf tierartspezifische Größe, Form, Farbe und Konsistenz begutachtet werden (Abb. 1). Ausstrichpräparate von Frischkot (Nativpräparate) können schnell und einfach in der Praxis angefertigt und mikroskopisch auf z.B. Hefen, Flagellaten und Kokzidien untersucht werden. Das Vorkommen von Hefen (Saccharomycopsis spp.) im Darm von Herbivoren ist physiologisch. Bei Kohlenhydratüberversorgung und Dysbiose kann es aber zu einer pathologischen Überbesiedlung kommen, die zumeist mit Korrektur der Dysbiose und Anpassung der Fütterung wieder verschwindet. Das Flotationsverfahren dient der Anreicherung geringerer Erregermengen (Nematodeneiern, Kokozidienoozysten und Bandwurmeier). Bei Verdacht auf Trematodeneier und Lungenhaarwurmeiern erfolgt die Anreicherung durch Sedimentation, bei Verdacht auf Lungenwurmlarven durch das Auswanderungsverfahren. Typische Durchfallerreger bei Kaninchen (häufiger) und Meerschweinchen (seltener) sind Hefen, Kokzidien (Eimeria spp.) und Passalurus ambiguus. Hier sollte der Kot also immer nativ und nach Flotation untersucht werden. Die häufigsten Durchfallerreger bei Chinchillas und Frettchen sind Giardia spp., die mittels ELISA nachgewiesen werden können. Die bakteriologische Kotuntersuchung ist wegen der Vielzahl an physiologisch vorkommenden Bakterien zumindest bei Herbivoren nur dann sinnvoll, wenn auf spezielle Erreger wie Salmonellen, z.B. bei lebensmittelliefernden Tieren, untersucht werden soll. Die virologische Kotuntersuchung wird nur bei konkretem Verdacht durchgeführt, z.B. Coronavirusbefall beim Frettchen.
Blutuntersuchung
Hämatologische und serologische Untersuchungen sind auch bei Kleinsäugern sinnvoll. Die Entnahme ausreichender Mengen Blut (idealerweise 0,5 ml EDTA-Blut und 0,5 – 1 ml Serum/Heparin-Plasma; max. 1 % des KGW) erfolgt je nach Tierart am einfachsten an der V. saphena lateralis (Abb. 2, 3), der V. cephalica oder der V. jugularis (siehe Tab. 1). Bei Kaninchen und Frettchen kann das Blut meist frei tropfend über eine 20 (-22)-G-Kanüle aufgefangen werden, bei kleineren Tierarten hat sich die Verwendung von aufgesetzten 600-?l-Multivetten (erhältlich als EDTA, Lithium-Heparin- und Serumröhrchen) als vorteilhaft erwiesen. Zu den Besonderheiten im Blutbild von Kaninchen, Meerschweinchen und Chinchilla zählen ihr lymphozytäres Blutbild (durchschnittlich 60 – 80 % der Gesamtleukozytenzahl sind Lymphozyten) und das Vorkommen von so genannten pseudoeosinophilen Granulozyten (azidophil gefärbte neutrophile Granulozyten). Bei Frettchen ist die Anzahl an Lymphozyten und neutrophilen Granulozyten etwa gleich hoch – mit Tendenz zum lymphozytären Blutbild. Stabkernige Granulozyten werden bei allen vier Tierarten nur sehr selten gefunden, ebenso wie Leukozytose (Ausnahme leukämisches Lymphom v. a. beim Meerschweinchen). Akute bakterielle Infektionen äußern sich bei ihnen daher erfahrungsgemäß nur durch eine Verschiebung des ursprünglich lymphozytären Blutbildes hin zum granulozytären Blutbild, ohne Erhöhung der Anzahl der Stabkernigen und zumeist auch ohne Leuko zytose (so genannte „Pseudolinksverschiebung“). Die Messung der klinisch-chemischen Blutparameter (aus Serum oder Heparinplasma) bietet gute Möglichkeiten, um Organschäden und metabolische Störungen zu erkennen. Als Screening-Profil empfiehlt sich die Bestimmung der Enzymaktivitäten von GLDH und ALT, der Substratkonzentrationen von Harnstoff, Kreatin, Eiweiß, Albumin und Glukose und die Elektrolytkonzentrationen von zumindest Kalium und Natrium. Ein Anstieg der GLDH-Aktivität wird gerade bei Kaninchen zu Beginn einer akuten Hepatopathie beobachtet, dem der Anstieg der ALT-Aktivität folgt. Andere Leberenzyme (AST, AP, GGT) gelten bei Kleinsäugern als eher reaktionsträge. Der Anstieg der Harnstoff- und Kreatininkonzentration erfolgt auch bei Kleinsäugern als Folge von prärenalen (Dehydratation), renalen (akute oder chronische Niereninsuffizienz) und postrenalen Ursachen (Obstruktion der harnableitenden Wege). Glukose- und Kaliumkonzentrationen sind stark abhängig vom eingeschickten Probenmaterial (Hämolyse im Vollblut). Weitere Parameter sollten entsprechend den klinischen und labordiagnostischen Befunden angefordert werden (z.B. CK bei Verdacht auf Trauma, Fruktosamin bei Hyper- oder Hypoglykämie, T4 bei V. a. Hyperthyreose etc.). Serologische Untersuchungen (z.B. Enzephalitozoon-cuniculi-Antikörper (AK), reponema-
cuniculi-AK, RHD-AK etc.) sind wie bei anderen Kleintieren aus Serum oder Plasma durchführbar. Der direkte Erregernachweis (PCR) kann je nach Erreger lokalisierung aus unterschiedlichen Materialien erfolgen, z.B. Chlamydien (zellreicher Augenabstrich), Enzephalitozoonose (Urin, Liquor), Leporipox myxomatosis (Krusten, Abstrich) etc. Die bakteriologische Untersuchung von Nasenabstrichen bei Kleinsäugern ist meist unbefriedigend, da häufig Haut- und Schleimhautkommensalen die eigentliche pathologische Flora überdecken.
Was tun, bis der Befund da ist?
Ob die Laborbefunde abgewartet werden können oder sofort eine stabilisierende Intensivtherapie (Tab.2) begonnen werden sollte, hängt vom Allgemeinzustand des Patienten ab. Beim Kleinsäuger erfolgt die Stabilisierung nach dem ABC-F-Schema, wobei „A“ für „airways“, „B“ für „breathing“, „C“ für „circulation“ und „F“ für „feeding“ steht; d.h. Sicherstellung einer effizienten Atmung (ggf. Freiräumen der Atemwege, Sauerstoff anbieten) und Kreislauffunktion (Wärme, Infusion; Erhalt 50 ml/kg/d kristalloide Lösung) und Aufrechterhaltung der Magen-Darm-Funktion (Problem identifizieren, ggf. Ileus ausschließen, füttern). Die Funktion des Magen-Darm-Trakts spielt gerade bei herbivoren Kleinsäugern (Kaninchen, Meerschweinchen, Chinchilla und Degu) eine zentrale Rolle, da sich bei fehlendem Vorschub im Magen-Darm-Trakt bereits innerhalb von 1 – 2 Tagen fatale Dysbiosen mit nachfolgenden Tympanien entwickeln können. Herbivore Kleinsäuger werden mit rohfaserreichem, eher energiearmem Brei gefüttert (Abb. 4), granivore Kleinsäuger mit einem getreidereichen, rohfaserarmen Brei. Je nach Grundproblem sollten die Maßnahmen durch Analgetika (Meta mizol, ggf. nichtsteroidale Antiphlogistika; (Cave: Dehydration, Nierenfunktion)), motilitätssteigernde und antiemetische Präparate (MCP, Cisaprid) u. a. unterstützt werden. Die weitere Medikation erfolgt nach Vorliegen der Befunde.
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HKP 5 / 2011
Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 5 / 2011.
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