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Reportage - Wie eine Fata Morgana

Die Vereinigten Arabischen Emirate, kurz VAE, sind eine Föderation von sieben Emiraten. An der Küste des Persischen Golfs gelegen und mit Zugang zum Golf von Oman, grenzt das Land an die Staaten Saudi-Arabien und Oman. Die Hauptstadt der VAE ist Abu Dhabi und als zweitgrößte Stadt des Landes (nach Dubai) auch ein wichtiges Industrie- und Kulturzentrum. Fast vollständig von trockener Sandwüste bedeckt, werden über zwei Drittel des Landes von den nördlichen Ausläufern der Großen Arabischen Wüste Rub Al Chali eingenommen. Ihre Sanddünen können oft über hunderte von Kilometern wandern und Oasen und Städte bedrohen.

hundkatzepferd war vor Ort und hat eine Welt zwischen Reichtum und Wüsteniydill aus Tausend- und einer Nacht kennen gelernt.

Dubai ist wohl das beeindruckendste Emirat. Superlative, wohin man sieht. Der burj khalifa ist das höchste Gebäude der Welt und ragt mit beeindruckenden 830 Meter in den Himmel. Der burj Al arab wiederum ist das höchste (321 m) , teuerste und einzige Sieben Sterne-Hotel der Welt und, als wäre das noch nicht genug, steht es auf einer künstlichen Insel mitten im Meer. Die weltberühmte künstliche Insel „The Palm“ gilt als achtes Weltwunder und ist sogar vom Weltall aus zu sehen. Ich kann es kaum glauben, das alles, was ich hier sehe, höchstens 40 Jahre alt ist. Sauberkeit, eine ehrliche Gastfreundschaft und eine Kriminalitätsrate, die fast bei null liegt, ermöglichen hier wirklich entspannte Tage. Ich möchte mich, wie es sich für hundkatzepferd gehört, den tierischen Bewohnern des Wüstenstaats widmen. Oft ist das Erste, an das man bei dem Wüstenstaat denkt, das Kamel. Die Höckertiere sind ein Symbol der traditionellen Kultur der arabischen Golfstaaten. Und während in der Wirtschaftskrise die Preise für Rohstoffe und Waren sanken, stiegen Experten zufolge die Kosten für das Prestigeobjekt Kamel noch an. Künstliche Befruchtung, Embryonentransfer, Leihmütter und Klontiere. In den Vereinigten Arabischen Emiraten werden mit modernster Fortpflanzungsmedizin Kamele gezüchtet. Bei Auktionen erlösen die Tiere astronomische Summen: Ein Mann aus den Emiraten zahlte bei einer Versteigerung in der Wüste von Abu Dhabi im Februar 2010 stolze 4,6 Millionen Euro für drei Dromedare (auch als einhöckrige oder arabische Kamele bekannt).
Ein vielleicht noch etwas prominenterer Einwohner der VAE ist der Falke, der sogar das Staatswappen schmückt. Deshalb besucht hundkatzepferd im August 2012 eine der renommiertesten und modernsten Falkenkliniken der Welt und spricht vor Ort mit deren Leitern Dr. Margit Müller, die seit 2001 das „Falcon Hospital in Abu Dhabi leitet. Es ist früher Vormittag und das Wartezimmer ist voll. Die Augen der gefederten Patienten sind mit einem Lederhäubchen bedeckt, um die Tiere zu beruhigen. Geduldig hocken die gefiederten Patienten auf den mit grünem Kunstrasen überzogenen Stangen und warten auf ihre Behandlung.
Eigentlich wollte sie mir die Klinik in Ruhe zeigen, erklärt sie zur Begrüßung, doch ein Scheich möchte 12 Vögel von einem Züchter kaufen, daher müssen die Tiere jetzt endoskopisch untersucht werden. So findet unser Gespräch direkt im OP statt. Ein Großteil dieser Tiere wird übrigens in Deutschland gezüchtet und trainiert. Im Zehn-Minuten-Takt bekommt nun ein Falke nach dem andern die Narkoseglocke über den Kopf und wird mittels modernster Technik von Frau Müller begutachtet. Dazwischen: Klinikmanagement, unser Interview und wieder der nächste Falke. Müller wirkt dabei bestens gelaunt und ich spüre ihre Leidenschaft für diese anmutigen Tiere.
Rund 6000 Falken behandelt sie im Jahr, inoffiziell ist sie 24 Stunden im Einsatz und wohnt sogar auf dem Gelände. Da wird sie schon mal aus dem Bett geklingelt, weil ein Falke nachts um 3 Uhr verletzt wurde und dessen Besitzer sich direkt aus dem 100 Kilometer entfernten Saudi Arabien ins Auto gesetzt hat, damit der Vogel mitten in der Nacht von ihr operiert werden kann. Falken haben auf der arabischen Halbinsel einen besonderen Status. Früher halfen sie den Beduinen beim Überleben in der Wüste. Wenn die Falken den Zugvögeln auf ihrem Weg in den Osten folgten, fingen die Wüstenbewohner sie ein, zähmten sie und nutzten sie zur Jagd. Dabei lebten sie als Teil der Familie. Dies hat sich bis heute nicht verändert und der Falke ist mehr echtes Familienmitglied als ein Statussymbol. Allerdings genießt der Falke bei seinem Besitzer oft einen höheren Stellenwert als Frau und Kind. Bei arabischen Fluggesellschaften darf der Falke als einziges Tier sogar neben seinem Besitzer in der Kabine fliegen.
Es wäre unmöglich, hier alle medizinischen Besonderheiten von Müllers Arbeit abzudrucken und so frage ich sie nach einem für die Tierärzteschaft in Deutschland interessanten Fallbeispiel. Aspergillose-Fälle, oder Verletzungen mit anschließender OP, sind dem Tierarzt auch in Deutschland weitgehend bekannt und so berichtet sie hundkatzepferd folgendes Beispiel: Fälle von bilateraler Parese und Hyperflexion des gesamten Ständers als Komplikation unsachgemäß durchgeführter Endoskopien wurden bei Falken beschrieben. Die davon betroffenen Falken sind dann nur noch in der Lage, beidseitig auf dem Tarsometatarsus zu stehen (Abb. 1). Ein solcher Fall wurde dem Abu Dhabi Falcon Hospital vorgestellt. Die Anamnese ergab, dass in diesem speziellen Fall der weibliche Wanderfalke einen Tag zuvor in einer anderen Klinik zur Routine-Endoskopie war. Unmittelbar nach dem Aufwachen konnte der Falke nicht mehr in der normalen Haltung aufrecht stehen. Dem Besitzer wurde erklärt, dass diese Schwäche in kurzer Zeit von selbst aufhören würde. Allerdings trat bis zum nächsten Tag keine Verbesserung des Gesundheitszustandes ein und der Falke konnte kein Futter zu sich nehmen. Da keine Chance auf kurzfristige Heilung bestand, wurde der Falke zur Euthanasie in das Abu Dhabi Hospital überwiesen. Dort einigte sich man sich auf einen Therapieversuch, der maximal 3 Tage dauern sollte.

Klinische Untersuchung und Symptome

Die Palpation des Falken lieferte keinen Hinweis auf abnorme abdominale Massen, Frakturen oder Dislokationen von Knochen. Patellarreflex und die Propriozeption der Ständer waren nicht mehr vorhanden. Der Endoskopie-Zugang befand sich in der linken Inguinalregion. Es konnte kein Hämatom oder andere Weichteilverletzungen festgestellt werden. Anamnestisch wurde ein Trauma und mögliche Schädigung des unteren motorischen Neurons vermutet.

Therapie

Der Behandlungsplan des hospitalisierten Wanderfalken sah die jeweils subkutane Applikation von Amynin® 2.0 ml und Catosal ® 0.5 ml, Traumeel® ad us vet. 0.5 ml und Coenzyme compositum® 0.5 ml vor. Der Vogel wurde mit gehackter Wachtel von Hand zwangsgefüttert, weil eine eigenständige Futteraufnahme nicht möglich war. Ab dem 2. Tag des Klinikaufenthaltes erhielt der Vogel täglich subkutane Injektionen von Marbofloxacin (Marbocyl®) 10 mg/kg BID, Amynin® 2.0 ml und Catosal® 0.5 ml, Traumeel® ad us vet. 0.5 ml und Zeel® ad us vet. 0.5 ml. Nach 3 Tagen konnte noch keine Verbesserung des Krankheitszustandes festgestellt werden. Am 4. Tag begann der Wanderfalke, die Zehen des rechten Fußes zu strecken. Am 5. Tag des Klinikaufenthaltes konnte der Vogel auf dem rechten Fuß stehen und begann, die Zehen des linken Fußes zu strecken. Am Tag 6 hatte der Falke sein Stehvermögen wieder erlangt und konnte eigenständig Hackfleisch zu sich nehmen. Am 7. Tag nahm der Vogel wieder eine normale Körperhaltung auf beiden Ständern an (Abb. 2). Der Erfolg gibt ihr Recht, doch Müllers Ziel ist es nicht nur kranke Tiere zu heilen, sie will auch für eine artgerechte Haltung sorgen. Die stolzen Besitzer hat sie schon ganz gut im Griff: „Heute bringen sie ihre Schützlinge meist mehrmals im Jahr zum Falken-TÜV.“ Auch einen eigenen Falken-Pass hat Müller entwickelt. Sie scheint nicht müde zu werden. In den letzten zehn Jahren wuchs die Klinik von Gebäude zu Gebäude und neben einem Konferenzzentrum und einer Freiluftvoliere wurde nun das erste Tierheim für Streuner im Emirat eröffnet. Inzwischen versorgen die Mitarbeiter rund 300 ausgesetzte und herrenlose Hunde und Katzen, die auf eine Adoption warten. Das Falken-Hospital ist inzwischen auch für Touristen geöffnet. In den Emiraten genießt Frau Dr. Margit Müller einen hohen Status. Für ihre Verdienste um die Falken erhielt sie 2008 mit dem Abu Dhabi Award die höchste Anerkennung des Scheichtums, überreicht von seiner Hoheit Scheich Mohamed bin Zayed Al Nahyan persönlich. „Man hat mich sogar schon zum halben Mann erhoben“, erzählt Müller. „Das ist als ein großes Kompliment gemeint.“

hundkatzepferd bedankt sich bei Frau Dr. Margit Müller für den interessanten Tag und die Einblicke in Ihren Alltag.

Die Vereinigten arabischen Emirate bieten Tierfreunden jede Menge Sehenswertes und neben der Falkenklinik in Abu Dhabi bekommt man auch Einblicke in Kamelfarmen, arabische Pferdezuchten und andere Einrichtungen.

Foto: © Oliver Michaut

HKP 6 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 6 / 2012.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.