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Analgesie während chirurgischer Eingriffe

Notwendigkeit oder Luxus?

Jeden Tag werden kleinere und größere Operationen an Hunden und Katzen
durchgeführt. Viele dieser Eingriffe sind zwar Routine, trotzdem sind diese relativ invasiv und deshalb auch schmerzhaft.

Zur Kastration von weiblichen Tieren wird die Bauchdecke durchtrennt, zur Versorgung von Frakturen werden Muskeln und Periost verletzt. Eine Verletzung solcher Strukturen führt zu einer Aktivierung peripherer Schmerzrezeptoren und Nerven­fasern und folglich zu einer kontinuierlichen Stimulation verschiedener Rezeptoren im Rückenmark. Sobald der Reiz über den Hirnstamm im Großhirn angekommen ist, werden die Schmerzen als solche wahrgenommen. Dieser Vorgang wird fortgesetzt, solange die peripheren Rezeptoren stimuliert werden; also nicht nur während des Schnittes, sondern bis zur kompletten Ausheilung der Operationswunde. Eine andauernde Stimulation von sensitiven Nerven­fasern kann zu einer Veränderung der Überleitung im Rückenmark in Richtung Hirnstamm führen. Aufgrund einer Aktivierung zusätzlicher Rezeptoren (NMDA-Rezep­toren) kommt es zu einer Diskrepanz zwischen der Intensität der Schmerzem­pfindung und der Stärke des Stimulus (wind-up). Ein kleiner Reiz wird plötzlich als großer Schmerz empfunden. Da Tiere nicht sprechen können, wird die Schmerz­evaluation zur Herausforderung. Sie ist jedoch für eine gute Therapie sehr wichtig. Vor wie auch nach einem Eingriff sind Veränderungen des Verhaltens wie reduzierter Appetit, ein gekrümmter Rücken oder auch Aggressivität mögliche Anzeichen von Schmerzen. Während der Anästhesie können Veränderungen der Herzfrequenz, des Atemmusters oder auch des Blutdruckes Hinweise auf Schmerzen sein.


Abb.1 Epiduralanästhesie bei einem Hund


Abb.2 Intratestikuläre Analgesie bei einem Kater


Abb.3 Ischiadicus Block bei einem Hund

Analgetisch wirkende Anästhetika?

Die meisten Tiere werden mit Acepromazin oder Medetomidin prämediziert, bevor die Anästhesie mit Ketamin oder Propofol eingeleitet wird. Bei einem längeren Eingriff werden die Medikamente entsprechend nachdosiert oder die Tiere werden intubiert und Isofluran wird zur Erhaltung der Anästhesie eingesetzt. Die schmerzhemmende Wirkung von Medetomidin fehlt dem Acepromazin und die analgetische Wirkung von Propofol und Isofluran ist ebenfalls nur ­minimal. Eine gute Planung der Analgesie – unabhängig der Bewusstlosigkeit – führt jedoch nicht nur zu einem besseren Wohlbefinden in der postoperativen Phase, sondern auch zu stabileren hämodynamischen und respiratorischen Verhältnissen während der Anästhesie. Denn obwohl das Tier die Schmerzen unter Anästhesie nicht wahrnimmt, finden die peripheren und spinalen Prozesse weiterhin statt.

Mit einer guten intraoperativen Anal­gesie kann die Dosis der applizierten Anästhetika reduziert werden. Darüber hinaus werden Kosten gesenkt und die Gefahr von intra-operativen Komplikationen wie Apnoe, Bradykardie und Hypotension ­reduziert. Die Tiere zeigen zudem eine kürzere Aufwachphase und können somit früher nach Hause entlassen werden. In den letzten Jahren wurde die Bedeutung der präemptiven Analgesie, der Schmerzbekämpfung vor dem Schnitt, hervorge­hoben. Nun konnte jedoch gezeigt werden, dass auch nach optimaler intraoperativer Analgesie als Folge einer ungenügenden postoperativer Analgesie chronische Schmerzen auftreten können. Laut Angaben aus der Humanmedizin leiden 50% der Patien­ten ein Jahr nach einem größeren Eingriff noch an chronischen Schmerzen. Ähnliche Beobachtungen machen Katzenbesitzer nach erfolgter Kastration. Gewisse Tiere zeigen Abwehrbewegungen bei Berührung des Abdomens, was ein Zeichen von chroni­schem Schmerz sein kann. Der Fokus hat sich vom richtigen Timing der Analgesie zu einer möglichst effizienten und adäquaten Schmerztherapie während der gesamten Therapiedauer verschoben.

Was definiert eine gute Analgesie?

Die Schmerzbekämpfung sollte möglichst auf mehreren Ebenen erfolgen. Nichtsteroidale Entzündungshemmer (NSAIDs) wie Carprofen oder Meloxicam zeigen eine direkte Wirkung auf Entzündungsrezeptoren im Operationsgebiet. Die Empfindung wird während eines Eingriffes am effektivsten ausgeschaltet, indem periphere Nerven­fasern mittels Lokal- oder Regionalanästhesie blockiert werden. Die perineurale Appli­kation von Lokalanästhetika wie Bupivacain oder Ropivacain führt zu einer langdauernden Ausschaltung jeglicher schmerzhafter Stimulation. Beim Menschen können mittels solcher Methoden Allgemeinanästhesien vermieden werden, weshalb sie in vielen Krankenhäusern zum Standard wurden. Obwohl dies in der Kleintiermedizin meist nicht der Fall ist, ­haben sich solche Nervenblockaden langsam auch hier etabliert. Gerade für Eingriffe am Kopf oder an Gliedmaßen können mit einer Regionalanästhesie systemisch wirkende Schmerzmittel reduziert und so deren Nebenwirkungen vermindert werden. Am Kopf können viele Nerven schon rein palpatorisch lokalisiert werden. An den Gliedmaßen ermöglichen der RUMM-Block (Block der Nn. radialis-, ulnaris-, medianus- und musculocutaneus) am Vorderbein und eine Epiduralanästhesie oder auch ein Block der Nn. ischiadicus- und femoralis an der zu operierenden Gliedmaße die meisten Eingriffe unter kompletter Schmerzfreiheit. Hilfsmittel wie Nervenstimulatoren und Ultraschall erhöhen die Erfolgsrate solcher Injektionen.

Auf Rückenmarks- und Hirnstamm­ebene hemmen vor allem Opioide wie ­Methadon, Morphin, Fentanyl, Buprenorphin oder Butorphanol die Weiterleitung von schmerzhaften Impulsen, weshalb diese Wirkstoffgruppe in jedem Analgesieprotokoll enthalten sein sollte. Ketamin verstärkt die Wirkung von Opioiden und wird vor allem bei somatischen Schmerzen nach Haut-, Sehnen- und Knochenverletzungen eingesetzt. Ein Lidocaindauertropf wird primär in Kombination mit Opioiden während abdominaler Eingriffe eingesetzt. Neben antiarrhythmischen Effekten wirkt es sowohl als Radikalfänger als auch prokinetisch. In der postoperativen Phase werden neben nichtsteroidalen Entzündungshemmern langwirkende Opioide wie Buprenorphin eingesetzt, um eine gute und kurze Rekon­valeszenz bei minimalen Schmerzen zu ermöglichen. Kontrollierte Bewegung, Massage und Akupunktur können diese Phase entscheidend beeinflussen.

take home

Die Bewusstlosigkeit während der ­Anästhesie führt nicht zu einer Hemmung der Weiterleitung von schmerzhaften Stimuli. Deshalb ist es essen­ziell, die Analgesie zusätzlich zur Anästhesie zu planen.

Foto: © istockphoto.com, PhotoZidaric

Stichwörter:
Kastration, Schmerz­evaluation, Epiduralanästhesie, Intratestikuläre Analgesie, Ischiadicus Block, Acepromazin, Anästhesie,

HKP 8 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 8 / 2014.
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