Leicht Zerbrechlich
Chinchillas findet man nicht gerade häufig in deutschen Wohnzimmern, der Erfahrungszustand
mit erkrankten Tieren ist deshalb limitiert. Aufgrund von anatomischen und physiologischen
Besonderheiten stellen sie eine Herausforderung für jeden in tierärztlicher Praxis Tätigen dar.
Prof. Dr. Michael Fehr gibt einen Einblick in die Verletzungsarten dieser südamerikanischen Tiere.
Chinchillas gelten als Kolonietiere, deshalb sollte mindestens eine Paar-, besser noch eine Gruppenhaltung angestrebt werden. Wachsen junge Chinchillas gemeinsam auf, dann sind keine Schwierigkeiten zu erwarten. Zudem sind Jungtiere aufgeschlossener und freuen sich eher über weitere Spielgefährten. Die Zusammenstellung einer Chinchillagruppe sollte deshalb frühzeitig im Alter von etwa 10 Wochen erfolgen.
Bissverletzungen
Wenn ein ausgewachsenes Tier mit einem unbekannten Partner zusammengesetzt wird, dann zeigt sich gelegentlich, dass das Paar- bzw. Partnerverhalten sich nicht mit den Erwartungen des Chinchillahalters deckt. Auch entwickelt sich bei Chinchillas mit zunehmendem Alter ein ausgeprägtes Revier- und Rangordnungsverhalten. Chinchillas legen untereinander ihre Rangordnung fest, indem sie ihre Artgenossen besteigen, das Rückenstreicheln sollte deshalb bei dieser Tierart unterbleiben. Gerade Chinchillaweibchen sind mitunter sehr aggressiv und beißen sich gelegentlich mit dem Partnertier. Das dichte und feine Chinchillafell erschwert die Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Verletzungen. Nach der Wundversorgung müssen die Tiere in solchen Fällen selbstverständlich getrennt werden bzw. der Aggressor sollte aus der Gruppe entfernt und in eine andere eingegliedert werden.
Grundsätzlich sollten Versuche, Chinchillas zu vergesellschaften, tagsüber erfolgen. Angaben über eine Erfolgsgarantie dieser Bemühungen müssen jedoch mit Vorsicht gewertet werden. Will man die Tiere aneinander gewöhnen, dann sollte man das weibliche Tier in den Käfig des Bockes setzen und nicht umgekehrt. Dazu hat sich ein aus Draht bestehendes Eingewöhnungsgehege in der Größe von 30 x 30 x 20 cm bewährt. In das Draht-Gehege wird das Chinchillaweibchen gesetzt, dann wird dies in das Gehege des Bockes gestellt. Der Bock kann dann versuchen, Kontakt aufzunehmen und den Besuch beschnuppern, ohne dass die Gefahr besteht, sich zu verletzen. Unterstützend wird das Sandbad des Weibchens in das Gehege des Bockes gestellt, der das Sandbad dann mit seinen Duftmarkierungen versieht. In größeren Beständen wird häufiger auch eine Verpaarungskiste mit der Größe 30 x 30 x 15 cm benützt. Diese ist mit 15 cm von so niedriger Höhe, dass sich die Tiere nicht darin aufrichten können und damit eine Angriffsstellung nicht möglich ist. Zudem soll sich in der Dunkelheit der Kiste viel seltener eine Aggression entwickeln. So kann es dann auch vorkommen, dass die Tiere, wenn sie sich längere Zeit dort aufhalten haben, gemeinsam einschlafen. Nach dem Erwachen werden die Tiere dann bei Tageslicht in ein Gehege gesetzt und weiter beobachtet, ob die Gewöhnung in der Kiste ausreichte und keine erneuten Aggressionen auftreten. Andernfalls müssen die Tiere zunächst getrennt und die zuvor beschriebene Maßnahme wiederholt werden.
Frakturen
Chinchillas können, insbesondere wenn sie einen neuen, noch unbekannten Käfig bezogen haben, von erhöht angebrachten Sitzbrettern herunterstürzen, im Käfiggitter oder in den dicht beieinander liegenden Ästen eines Kletterbaumes hängen bleiben, durch den Besitzer beim Freilauf zufällig getreten werden oder auch nach unzureichender Fixation vom Arm oder Tisch herunterfallen. In der Folge können Gliedmaßenbrüche auftreten, die bei Chinchillas aufgrund der langen und dünnen Röhrenknochen und des nur dünnen Weichteilmantels vor allem am Unterschenkel entstehen. Die ähnlich wie bei Kaninchen vorhandene, spröde Knochensubstanz bedingt, dass die Knochen splittern bzw. dass Mehrfragmentfrakturen entstehen können, was die Frakturversorgung erheblich erschwert.
Bisher liegen nur wenige Daten zur Frakturhäufigkeit und -verteilung bei verschiedenen Heimtierarten vor, in einer Studie war von 25 Kleinnagerfrakturpatienten ein Chinchilla vertreten.
Über die Frakturversorgung beim Chinchilla liegen, bis auf je einen Fallbericht zur Tibiaund zur Femurfraktur aus den 50er Jahren, bisher keine Untersuchungen vor. Die Auswertung der eigenen Patienten der letzten sieben Jahre zeigt, dass neben dem Unterkiefer, dem Femur und beidseitigem Darmbein, zweimal Radius und Ulna sowie fünfmal die Tibia und Fibula betroffen waren.
Oberstes Ziel bei Chinchillas mit entsprechender Traumaanamnese ist die adäquate Schmerztherapie, die Vermeidung eines Schockgeschehens bzw. die Stabilisierung des Patientens bei entsprechenden Schocksymptomen wie Apapthie, Tachy- oder Bradypnoe, blasse bzw. zyanotische Schleimhäute, Hypothermie etc. Dazu wird das Chinchilla in eine ruhige Umgebung mit kontrollierter Wärmezufuhr verbracht, erhält z. B. Carprofen (z. B. Rimadyl®) 5 mg/kg KM oder Meloxicam (z. B. Metacam ®) 0,15 mg/kg KM s.c. (Analgetikum), zur Kreislaufstabilisierung Vollelektrolyt-/ Ringer- laktat- oder Glukose-Lösung 40 – 60 ml/kg KM i.p./s.c. (auf 2 Seiten verteilen) sowie Etilefrin (Effortil®) 0,5 – 1 mg/kg KM i.m. Zusätzlich sollte eine Antibiotikaapplikation (z. B. Enrofloxacin (Baytril®) 10 mg/kg KM i.p., s.c. oder Marbofloxacin (Marboxyl ®) 4 mg/kg KM i.p., s.c. erfolgen.
Verschiedene, allgemeine Empfehlungen zur Frakturversorgung dieser Spezies können der einschlägigen Fachliteratur entnommen werden. Von der konservativen Behandlung insbesondere der Hintergliedmaßenfrakturen mittels Verband wird beim Chinchilla – im Gegensatz zu anderen Kleinsäugern – abgeraten, da diese nur selten erfolgreich verläuft.
Dies gründet sich auf die Schwierigkeiten bei der Reposition, die nur mangelhaft erreichbare Ruhigstellung der Fragmente und die Tendenz der Tiere, Verbände zu benagen. Wenn dennoch eine Verbandsbehandlung gewünscht wird, sollten zumindest alle Klettermöglichkeiten, Sitzbretter etc. aus dem Chinchillakäfig beseitigt bzw. entfernt werden.
Zur Frakturfixation werden intramedulläre Kraftträger („Marknagel“), Cerclagen oder der Fixateur externe genannt, die Markraumfixation wird jedoch von den meisten Autoren bevorzugt. Während ein Autor bei offenen Frakturen zur Amputation rät, empfehlen wir grundsätzlich zunächst die Versorgung mittels Fixateur externe, auch wenn beim
Chinchilla nach Frakturentstehung und -versorgung in seltenen Fällen mit einer Automutilation gerechnet werden muss.
Eine Markraumfixation kann durch Einsatz von Kirschnerbohrdrähten oder von Steinmannnägeln erfolgen. Fissuren oder kleinere Fragmente werden vorzugsweise mittels resorbierbarem Nahtmaterial (z. B. Vicryl®, Fa. Ethicon) durch zirkulär um den Knochen geführte Einzelhefte fixiert und damit der physiologische Knochenverlauf rekonstruiert. Beim üblicherweise notwendigen Umbiegen der aus dem Knochen hervorragenden Nagelenden können nach eigener Erfahrung im Knocheneintrittsbereich der Bohrdrähte Lockerungen bzw. kleinste Fissuren entstehen, die einer Implantatwanderung Vorschub leisten. Nach eigenen Erfahrungen reicht eine Röntgenkontrolluntersuchung frühestens nach sechs Wochen, andererseits liegt im Schrifttum der Hinweis vor, diese wöchentlich durchzuführen, weil nur so Komplikationen erkannt werden könnten. Die Implantatentfernung erfolgt nach Frakturheilung oder Lockerung der Implantate. Wie die eigenen Ergebnisse zeigen, führt die operative Frakturversorgung auch bei Chinchillas in der Mehrzahl der Fälle zur Heilung und wird deshalb angeraten.
Michael.Fehr@tiho-hannover.de
Literatur beim Autor
|