Mittelfrequenter Wechselstrom und Physiotherapie
Der „Hahnentritt“ beim Pferd
Die klinische Symptomatik des Hahnentrittes, auch „Stringhalt“ genannt, zeigt sich beim Pferd in einer unkontrollierten, zuckenden Beugung der betroffenen Hintergliedmaße, die bei jedem Schritt stark in die Höhe gezogen wird. In extremen Fällen berührt der Fesselkopf die untere Bauchwand. Beim reflexartigen Beugen oder auch Zucken der betroffenen Gliedmaße sind das Fessel-, Sprung- sowie das Kniegelenk betroffen, weiterhin ist ein gebeugtes Hüftgelenk erkennbar.
Die Hahnentritterkrankung kann einseitig oder beidseitig an der Hinterextremität auftreten und ist in fünf Schweregrade unterteilt, wobei sich Grad 1 vor allem in Stresssituationen und beim Rückwärtslaufen in abgeschwächter Form darstellt. Bei Grad 4 ist die Hyperflexion der betroffenen Hintergliedmaße derart stark ausgeprägt, dass sich das Pferd an den Unterbauch tritt, weiterhin besteht hier die Unfähigkeit, rückwärts zu laufen. Bei Grad 5 bewegt sich das Pferd nur widerstrebend, die betroffene Extremität bleibt für Sekunden in der Beugestellung und die Vorwärtsbewegung des Pferdes gleicht einem hasenähnlichen Hüpfen. Die Entstehung des Hahnentrittes ist ungeklärt, die Symptomatik tritt plötzlich oder allmählich und ohne erkennbare Ursache auf. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass als mögliche Ursache eine vorangegangene Muskel- oder Nervenentzündung der Hintergliedmaßen beobachtet wurde. Denkbar wäre auch eine Rückenmarksschädigung. Als weiterer Auslöser des Hahnentritts wird die toxische Form benannt, hierbei handelt es sich um den so genannten „Australian Stringhalt“. Diesen toxisch bedingten Hahnentritt kennt man vor allem in Australien, Neuseeland und Südamerika, er wird durch die orale Aufnahme des „ gewöhnlichen Ferkelkrauts“ (Hypochaeris radicata) ausgelöst. Der „Australian Stringhalt“ wurde bei Pferden auf der Weide vom Spätsommer bis Herbst beobachtet. Nachdem die erkrankten Pferde von der intoxikierten Weide entfernt wurden, heilte die Symptomatik relativ schnell wieder ab. Als Differenzialdiagnosen sind sowohl Spat oder eine habituelle Kniescheibenluxation als auch eine Hornsäule in der Vorderwand (dorsal) beschrieben. Als chirurgische Therapiemöglichkeit wird die Tenektomie der Sehne des seitlichen Zehenstreckers (M. extensor digitalis.) oder auch dessen Totalresektion beschrieben. Diese möglichen chirurgischen Eingriffe können zu einer mechanischen Verringerung der Symptomatik führen, jedoch kommt es in den meisten Fällen laut Literatur nicht zum 100 %igen Heilungserfolg.
Fallbericht
Patient: Andalusier, Stute
Geb. 2006
Vorbericht und Diagnose
Die Andalusierstute wurde laut Vorbericht im April 2012 von Spanien nach Deutschland transportiert. Das Gangbild der Stute war nach Angaben des Besitzers in Spanien sauber und unauffällig. Beim Antransport in Deutschland zeigte die Stute eine beidseitige stark ausgeprägte Ganganomalie der Hinterextremitäten. Der HTA behandelte die Stute mit Vitamin B12 und fütterte Selen zu (Dauer und Dosierung unbekannt). Drei Monate nach Auftreten der Symptomatik wurde die Stute als stationäre Patientin in der Klinik für Pferde (Chirurgie) der JLU Gießen aufgenommen. Die Patientin zeigte in der Klinik einen beidseitigen, hochgradig ausgeprägten Hahnentritt der Hintergliedmaßen des Schweregrades 5. Zur Diagnosefindung wurden bei der Stute die Sprunggelenke in verschiedenen Ebenen geröntgt sowie eine Ganzkörper- Szintigrafie mit Muskel- und Skelettdarstellung durchgeführt. Die bildgebenden Untersuchungen waren jedoch ohne Befund. Die durch den Tierarzt durchgeführten allgemeinen orthopädischen und neurologischen Untersuchungen waren ebenfalls (bis auf die Hyperflexion der Hintergliedmaßen) ohne Befund. Da ein toxisch bedingter Hahnentritt laut Literatur bereits Anzeichen der Abheilung hätte zeigen müssen, lag die Verdachtsdiagnose eines Transporttraumas nahe. Die Besitzer der Stute entschieden sich in der Folge für eine stationäre physiotherapeutische Behandlungsform.
Physiotherapeutischer Vorbericht
Die Stute zeigte Muskelverhärtungen der gesamten Rücken-, Kruppen- und Hinterbackenmuskulatur. Sie bewegte sich nur widerwillig vorwärts und trat sicht mit der jeweiligen Hintergliedmaße reflexartig an die untere Bauchwand. Die hinteren Extremitäten konnten nicht kontrolliert abgesetzt werden, sie verharrten für mehrere Sekunden in dieser angewinkelten Beugestellung und wurden dann schlagartig abgestellt. Weder Rückwärtslaufen noch Wenden gelang der Stute. Die Patientin war ängstlich, übererregbar, sehr schreckhaft und unsicher.
Physiotherapeutischer Behandlungsplan
Die Patientin wurde über vier Wochen täglich mit mittelfrequentem Wechselstrom (kurz IFR) sowie Massagen und Bewegungstherapie behandelt. Die Ziele der Therapie bestanden darin, die koordinierte und kontrollierte Beweglichkeit sowie die Funktionsregelung der Nervenleitbahnen wiederherzustellen und die Muskelverspannungen zu lösen.
IFR-Behandlung
Da die Ursache des Hahnentrittes ungeklärt war, wurden die IFR-Elektroden im Wechsel in verschiedenen Varianten (Abb. 1, 2) angelegt. In erster Linie wurde der hintere Wirbelsäulenbereich mit seinen Übergängen (BWS/ LWS und LWS/Kreuzbein) und den dazugehörigen Muskelpartien sowie deren Nervenverbindungen als auch das Tarsalgelenk mit mittelfrequentem Interferenzstrom behandelt. Die Elektroden wurden an der Patientin so angelegt, dass sich das zu behandelnde Gewebe entweder im Kreuzungsbereich befand oder durch den Nebenstrom angeregt wurde. Die Intensität der mittelfrequenten Strombehandlung variierte zwischen 5 und 8 mA (je nach Toleranz der Stute), die Dauer der Strombehandlung lag jeweils zwischen 30 und 60 min.
Abb.1: IFR-Elektrodenanlage: rechter und linker LWS-Bereich gekreuzt mit rechter und linker distaler Gliedmaße unterhalb des Sprunggelenkes
Zusätzliche Behandlungen
Massagen
Zusätzlich zur mittelfrequenten Interferenzstrombehandlung wurden täglich Massagen, Zirkelungen, Klopfungen als auch Vibration sowie Bürstenmassagen (an den Hintergliedmaßen auch gegen den Strich) angewandt.
Bewegungstherapie und Gleichgewichtsübungen
Weiterhin wurde die Patientin jeden Tag mit Bewegungstherapie in ihrer Koordination gefordert. Die Bewegungstherapie bestand im Wesentlichen darin, dass die Stute durch gezielte Übungen Wendungen und Rückwärtslaufen sowie Laufen auf unterschiedlichen Bodenbeschaffenheiten (Schulung der Propriorezeptoren) trainierte. Zudem wurden langsames Bergauf- und Bergabgehen sowie Hindernislaufen geübt.
Abb.2: IFR-Elektrodenanlage: medial und lateral, ober- und unterhalb des Sprunggelenkes
Abschlussbericht
Bereits nach einer Woche intensiver täglicher Behandlung war eine Verbesserung des Hahnentrittes erkennbar. Die Patientin konnte die Gliedmaßen koordiniert absetzen. Während des gesamten Behandlungszeitraumes war jedoch auch zu beobachten, dass die Stute nach längerem Stehen in der Box, bei Aufregung und Unkonzentriertheit oder kühleren, witterungsbedingten Temperaturen eine kurze „Einlaufphase“ von 3 – 4 Schritten benötigte, um ihre Körperbeherrschung wieder zu erlangen. Nach vierwöchiger Behandlung war die Stute in der Lage, zu wenden und rückwärtszugehen. Weiterhin waren Schritt, Trab und sogar Galopp, der vorher an einen hüpfenden Hasen erinnerte, gut durchführbar. Die bei der stationären Aufnahme vorhandenen Muskelverhärtungen waren weitest gehend gelöst. Nach wie vor bestand jedoch eine „Einlaufphase“, in der der Hahnentritt verstärkt auftrat. Die Patientin war im Verhalten durch das neu gewonnene Körpergefühl deutlich selbstbewusster und entspannter. Die abschließende tierärztliche Untersuchung und Beurteilung ergab eine Verbesserung der Hahnentrittsymptomatik auf Grad 2 – 3. Die Stute wurde mit dem Rat zur physiotherapeutischen Weiterbehandlung und zur Wiedervorstellung zu gegebener Zeit aus der Klinik für Pferde, Chirurgie nachhause entlassen.
Erläuterung zur Interferenzstromregulationstherapie (IFR)
Der Interferenzstrom besteht aus einer Mischung von zwei mittelfrequenten Wechselströmen mit einer Frequenz von 4000 Hz und 4100 Hz. An der Stelle, an der sich die Ströme überlagern, entsteht eine neue Frequenz von 4050 Hz, die als Interferenz (Überlagerung) bezeichnet wird. Die Mittelfrequenzströme werden bereits im Gerät vormoduliert. Der Vorteil ist, dass die therapeutische Wirkung nicht allein im Kreuzungsbereich liegt, sondern auch zwischen den beiden gleichseitigen Elektroden in Form des Nebenstroms besteht.
Die Wirkung
In der Zellstruktur jedes Lebewesens findet eine ständige bioelektrische Kommunikation statt. Diese kann z. B. neural (über die Nerven), endokrin (über die Hormone) oder über den Flüssigkeitshaushalt stattfinden. Der Interferenzstrom setzt dort an, wo die bioelektrische Kommunikation gestört ist. Durch seine wechselnde Polarität 4050 Hz (Schwingung pro Sek.) werden die körpereigenen Ionen zum Oszillieren gebracht, es entsteht eine nichtinvasive Möglichkeit in der Tiefe des Gewebes, direkt an der Zellmembran stimulierend, reaktivierend und regenerierend therapeutisch zu wirken.
Einige Anwendungsbereiche der IFR
// Ödembehandlung
// Analgesie
// Neurologische Störungen
// Muskel- und Sehnenschädigungen aller Art
// Arthritis und Arthrosebehandlung
// Wundbehandlung
take home
Der Hahnentritt der Stute konnte durch die Behandlung mit mittelfrequentem Interferenzstrom vom Schweregrad 5 auf 2 – 3 korrigiert werden. Die Stute kann sich wieder in allen Gangarten bewegen und tritt sicherer auf. In der GOT ist die IFR unter Teil B „Besondere Leistungen“ zu finden; von erfahrenen Tierphysiotherapeuten wird sie als wertvolle Therapieform am Pferd, am Hund oder auch an der Katze geschätzt. Die Tiere tolerieren die Strombehandlung in der Regel sehr gut und zeigen schon nach kurzer Behandlungszeit eine deutliche Entspannung.
Literatur
[1] O. R. Adams: Lahmheit bei Pferden, Verlag: Schaper, Hannover.
[2] O. Dietz, A. Rijkenhuizen: Handbuch Pferdepraxis, Verlag: Enke. Das Interferenzstrom-Regulations-Therapiegerät wurde der Justus Liebig-Universität, Klinik für Pferde, Chirurgie für Studienzwecke von der Firma Leineweber Electronics zur Verfügung gestellt.
Foto: © istockphoto.com| Rade Lukovic
Videoquelle: Anja Malina
Stichwörter:
Hahnentritt, Melina, Wechselstrom, Stringhalt, Arthritis, Hypochaeris radicata, M. extensor digitalis, mittelfrequentem Wechselstrom, IFR, Propriorezeptoren, Interferenzstromregulationstherapie
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