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Atopische Dermatitis – Ursachen und Diagnose

Warum juckt es?

Allergische Hauterkrankungen werden beim Menschen und beim Hund in den letzten Jahren immer häufiger diagnostiziert. Insbesondere die atopische Dermatitis scheint rapide zuzunehmen und betrifft bis zu 15% der Hundepopula­tion. In den letzten Jahren gab es zahlreiche neue Erkenntnisse zur Pathogenese der Erkrankung, die auch ihre Diagnostik und natürlich die Therapie ­immer weiter verbesserten.

Definition und Pathogenese

Die atopische Dermatitis (AD) ist eine Allergie vom Soforttyp (Typ 1-Allergie nach Coombs und Gell), bei der allergenspezifisches IgE gegen meist ubiquitäre Aeroallergene produziert wird. Sie ist das Ergebnis einer komplexen Interaktion zwischen Genotyp und Umweltfaktoren – diverse prä- und perinatale Einflüsse auf das noch nicht komplett entwickelte Immunsystem scheinen letztlich darüber zu entscheiden, ob ein genetisch prädisponiertes Individuum schlussendlich gegenüber potenziellen Allergenen mit Toleranz oder mit der Entwicklung einer Allergie mit entsprechenden klinischen Symptomen reagiert. Welche Faktoren das sind, ist nicht vollständig bekannt; diskutiert werden v.a. die Allergenkonzentration in der Umgebung (Hausstaubmilben, Tabakrauch) sowie andere Allergene wie Floh-, Milben- und Nahrungsmittelallergene und Staphylokokken- und Malassezien-Antigene. Die Allergenaufnahme erfolgt beim Hund nicht wie lange postuliert per inhalationem, sondern größtenteils perkutan. Sie ist besonders intensiv in Bereichen mit dünner Haut und/oder spärlicher Behaarung, mit intensivem Allergenkontakt (Pfoten) sowie in Bereichen mit Mikrotraumata (Flexorbereiche) und erklärt somit das typische klinische Verteilungsmuster der AD (s. später).

Neben der Produktion allergenspezifischer IgE zeigen Hunde mit AD einen ­Defekt in der epidermalen Barrierefunk­tion, der das Eindringen von Allergenen ermöglicht und begünstigt: Die Epidermis ist aufgebaut wie eine Mauer, deren Steine die Keratinozyten und deren Mörtel die ­Interzellularsubstanz (aus Ceramiden, Phytosphingosiden etc.). Bei Hunden mit AD ist dieser „Mörtel“ qualitativ wie quantitativ verändert, sodass Allergene, aber auch Keime verhältnismäßig leicht eindringen und immunologische Reaktio­nen hervor­rufen können. Vor dem Auftreten erster sichtbarer Veränderungen steht die Sensi­bilisierungsphase: Allergene dringen durch die Haut ein, werden von Langerhans-Zellen aufgenommen, in die Lymphknoten transportiert und dort Lymphozyten präsentiert. Bei Patienten mit AD werden vorwiegend TH2-Lymphozyten aktiviert, die über die Freisetzung verschiedener Zytokine (IL-2, IL-4 etc.) Plasmazellen stimulieren, auf die jeweiligen Allergene spezifische Immunglobuline vom Typ IgE zu bilden. Diese verlassen die Blutbahn und binden an verschiedene Zellen (v.a. Mastzellen) im ­Gewebe, an deren Oberfläche sich für sie Rezeptoren befinden. Damit ist die Sensibilisierungsphase abgeschlossen.


Allergie Juckreiz und Sekundär­infektionen mit Malassezien (Labrador).

Beim erneuten Kontakt mit dem zum jeweiligen IgE-passenden Allergen setzen die IgE-tragenden Zellen, v.a. Mastzellen, insbesondere proinflammatorische und pruritogene Mediatoren und ­Zytokine frei. Eine Schlüsselrolle spielt das erst vor relativ kurzer Zeit entdeckte Interleukin IL-31, das zudem über die Aktivierung der Januskinase 1 (JAK1) auf neurogenem Weg Pruritus und Kratzreflex auslöst. Die Selbsttraumatisierung der Haut vereinfacht weiteres Eindringen von Allergenen sowie von auf der Haut vorhandenen Keimen wie Bakterien und Hefepilze, führt dementsprechend zu Sekundärinfektionen mit massiver Entzündungsreaktion, welche wiederum den Juckreiz verstärken, die Schädigung der Haut verschlimmern, die Barrierefunktion weiter reduzieren etc. – es entsteht ein Circulus vitiosus, an dem Allergie, Keime und Entzündungsreaktionen sowie chronische Veränderungen am Pruritus beteiligt sind und diesen weiter unterhalten.


Boxer mit Verdickung und chronisch entzündeter Haut im Achsel- und Thoraxbereich (liegt auf dem Rücken).

Prädispositionen und klinisches Bild

Bei der AD besteht eine deutliche Altersprädisposition, mehr als 75% der Hunde zeigen erste Symptome im Alter zwischen einem und drei Jahren. Ein Erstauftreten der geschildertem Symptome im Alter von unter einem Jahr oder deutlich über drei Jahren ist sehr viel wahrscheinlicher bei der klinisch oft nicht zu unterscheidenden Futterunverträglichkeit/-allergie. Verschiedene Rassen zeigen eine Rassenprädisposition, die je nach Genpool, Land und „Moderassen“ variieren kann, mitunter werden auch Häufungen in bestimmten Zuchtlinien gesehen. Derzeit gelten bspw. verschiedene Terrier (v.a. Westhighland White und Yorkshire), Boxer, ­Labrador und Golden Retriever, Dalmatiner, Rhodesian Ridgeback, Französische und Englische Bulldogge als besonders häufig betroffen.

Im Gegensatz zum Menschen, bei dem bei einer Allergie gegen Aeroallergene vorwiegend die als „Heuschnupfen“ bekannten Symptome auftreten, zeigt der Hund praktisch ausschließlich Hautreaktionen. Das typische erste Symptom der AD ist ein Erythem zusammen mit Juckreiz insbesondere an den Prädilektionsstellen. Diese sind das Gesicht (Perioral- und Periokularbereich, Kinn), Ohren (insbesondere die Innenseite der Ohrmuscheln, der Bereich um die Gehörgangsöffnung sowie der äußere Anteil des äußeren Gehörgangs), Interdigitalhaut und Pfotenunterseite, Achsel- und Innenschenkelbereich sowie der Bauch, eventuell auch die Flexorbereiche der Gliedmaßen (Ellen- und Sprunggelenksbeuge usw.). Ausgespart hingegen bleiben Nacken und Rückenbereich. Infolge Pruritus und Selbsttraumatisierung kommt es aber sehr schnell zu ­Exkoriationen (Kratz-/Beißspuren), Papeln, Pusteln, Seborrhöen, Lichenifikation, Alopezie etc., Hyperhidrosis („Schwitzen” in ca. 10%), sekundärer Pyodermie, Malassezien-Dermatitis, (rezidivierender oder chro­nischer) Otitis externa, die zur Otitis media fortschreiten kann, seltener zu pyotraumatischer Dermatitis oder tiefen Pyodermien und schließlich zu den oben beschriebenen chronischen Veränderungen.

Diagnose

Anders als oft angenommen gibt es derzeit kein Testverfahren, das die Diagnose „atopische Dermatitis“ stellen kann. Nicht nur Tiere (und Menschen) mit klinischen Symptomen einer allergischen Erkrankung produzieren allergenspezifische IgE, sondern auch nichtallergische Individuen, umgekehrt zeigen nicht alle Tiere (und Menschen) mit einer AD positive In-vivo- oder In-vitro-Tests. Die Diagnose „atopische Dermatitis“ wird nach speziellen diagnostischen Kriterien klinisch gestellt und einen Ausschluss anderer wichtiger Ursachen für Juckreiz (insbesondere Parasiten wie Flöhe und ansteckende Milben, Futterunverträg­lichkeit/-allergie) und die Kontrolle der ­Sekundärinfektionen vor der Durchführung weiterführender Allergietests (in vivo oder in vitro) voraussetzt. Lediglich die auslösenden Allergene können durch die heutigen Testverfahren identifiziert werden. Häufige Allergene sind Hausstaubmilben, Pollen (diverse Gräser, Bäume, Kräuter/Unkräuter, Roggen, Raps usw.), Epithelien anderer Tiere und Menschen, seltener ­Federn, Schimmelpilze, andere Milben oder sogar Bakterien oder Hefepilze, die bei den Sekundärinfektionen beteiligt sind.

Prinzipiell unterscheidet man zwischen In-vitro-Tests („Bluttests“, heute meist als FcEpsilon-Rezeptor-Tests), mit denen allergenspezifisches IgE im Blut nachgewiesen wird, und In-vivo-Tests (Intrakutantests), bei denen Einzelallergene und Kontroll­lösungen intradermal injiziert werden und bei denen – wenn mit zum Testallergen „passenden“ IgE besetzte Mastzellen vorhanden sind – als positive Reaktion eine Rötung und Quaddel binnen 30 Minuten entsteht. Positive Testergebnisse müssen grundsätzlich kritisch hinterfragt werden – die Symptome müssen genau dann auftreten, wenn der Patient mit dem Auslöser konfrontiert wird. Erfahrungsgemäß gehören Hausstaubmilben bspw. beim Hund zu den häufigsten Allergieauslösern, sie finden sich nur im Haus und sie vermehren sich besonders stark in der kalten Jahreszeit. Zeigt also der Hund vorwiegend Juckreiz in der warmen Jahreszeit und draußen, wird eine Hausstaubmilbenallergie – auch wenn ein positives Ergebnis im Bluttest vorliegt – als Ursache nicht infrage kommen.

take home

Die AD ist eine Typ 1-Allergie gegen Aeroallergene, die vorwiegend perkutan aufgenommen werden. Neben der Produktion von allergenspezifischen IgE liegt ein Defekt in der kutanen Barrierefunktion vor, der das Eindringen von Allergenen und Mikroben begünstigt und so maßgeblich zur Entstehung von Juckreiz, Sekundärinfektionen und –veränderungen beiträgt. Die Diagnose der AD erfolgt klinisch nach speziellen diagnostischen Kriterien, alle bislang bekannten Testverfahren dienen ausschließlich der Identifikation der Auslöser.

Lesen Sie in der nächsten Ausgabe mehr zur Therapie der atopischen Dermatitis.

Foto: © istockphoto.com, tugores34

Stichwörter:
Hauterkrankungen, allergenspezifischer IgE, Allergene, TH2-Lymphozyten, Juckreiz, Zytokine, Interleukin IL-31, chronische Veränderungen, Pruritus, Prädispositionen, Diagnose,

HKP 2 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 2 / 2014.
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Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.