HKP-6-2010
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Biomechanik des Reitpferdes – wie das Fluchttier zum Athleten wird
Biomechanik des Reitpferdes – wie das Fluchttier zum Athleten wirdHarmonische BalanceDie Ausbildung des jungen Pferdes zu einem Reitpferd bedeutet seine Umformung vom Lauftier zum trainierten Sportler. Ein gut gerittenes Pferd befindet sich in natürlicher Balance mit dem Reiter. Der moderne Pferdesport in Deutschland basiert auf ethischen Grundsätzen, die den Umgang mit Pferden und deren Haltung auf eine tiergerechte Basis stellen. Dr. Gerd Heuschmann beleuchtet die biomechanischen Prinzipen, auf denen eine Reitlehre beruht, für die sowohl Tiergesundheit als auch Tierschutz die Grundlagen bilden. Entwicklung der Richtlinien
In den letzten Jahrhunderten hat sich, je nach geografischer Lage, eine Gebrauchs- oder Militärreiterei entwickelt. Überlieferungen aus den beiden letzten Jahrhunderten liegen unserer „klassischen Reitlehre“ zu Grunde. Die Auffassung hinter der Dressur und der Gymnastizierung eines modernen Sportpferdes unserer Zeit basiert auf den Erfahrungen des Militärs des 19. und 20. Jahrhunderts. Verschiedene Nationen mit ihren Erfahrungen nahmen Einfluss auf die Entstehung der HDV 12, der Mutter der Richtlinien für Reiten und Fahren der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) in Warendorf. Unsere Richtlinien basieren also auf alten Erfahrungen, die einerseits die Leistungsbereitschaft, die Leistungsfähigkeit und die Gesundheit des Pferdes im Fokus haben. Die klassische Reitlehre ist logisch und lässt sich bis ins kleinste Detail biomechanisch erklären. Leider ist in den letzten Jahrzehnten eine - alle Methoden, ein Pferd zwanghaft und unnatürlich beizuzäumen (Rollkur, Schlaufzügelnutzung zur Beizäumung usw.), was sowohl im Spitzen- wie im ländlichen als auch im Freizeitsport zu finden ist, - alle anderen groben Einwirkungen, die nicht einmalig sind oder in einer Notsituation nötig werden, - große Unwissenheit im Freizeitsegment im Hinblick auf Pferdehaltung und Reiten (dort wird teilweise aus Unwissenheit gequält). Biomechanik Hals und Rumpf
Der Körperbau des Pferdes gibt seinen Ausbildungsweg vor! Dieser Satz beschreibt die Logik, die sich hinter den Ausbildungsrichtlinien verbirgt. Eine zentrale Forderung dieser Philosophie ist der langsame Umformungsprozess eines Lauf- und Fluchttieres zu einem Reitpferd, einem Athleten. Das Lauftier Pferd wird auf einem sehr klar definierten Weg umgeformt und zu einem Athleten entwickelt. Dieser Prozess dauert am Anfang der Laufbahn eines jungen Pferdes relativ lang und ist auch wenig spektakulär! Der Kopf und der Hals des Pferdes spielen dabei eine entscheidende Rolle. Rücken als Bewegungszentrale
1959 beschreibt Udo Bürger den Begriff der Zügellahmheit sehr genau. Eine durch falsche reiterliche Einwirkung entstandene Bewegungsstörung ist sehr leicht mit einer Lahmheit zu verwechseln. In diesem Zusammenhang spielt auch die natürliche Schiefe (Händigkeit) eines jeden Pferdes eine große Rolle. Der falsche Umgang eines Ausbilders/Reiters mit dieser Schiefe führt sehr häufig zu zumindest taktgestörten oder zügellahmen Pferden. Im Vordergrund der Betrachtung steht der Rücken als Bewegungszentrale. Ist ein Ausbilder nicht in der Lage, den Rücken unverspannt zu erhalten, werden immer zumindest Rittigkeitsprobleme entstehen. Reiter sagen, das Pferd schwingt im Rücken. Da die Rückenmuskulatur, die beiden Stränge des M. Longissimus Dorsi, durch die breite Rückenfaszie mit dem M. Glutaeus Medius und den langen Sitzbeinmuskeln verbunden sind, werden deren positive wie negative Spannungszustände in die Bewegungsmuskulatur der Hintergliedmaßen transportiert. Aktiver Tierschutz Das biomechanische Grundverständnis baut immer auf der natürlichen Balance des Pferdes auf. Bei einem gut gerittenen Pferd verschmelzen Pferd und Reiter zu einem harmonischen Ganzen in Balance! Die klassische Reitlehre ist aktiver Tierschutz! Der Rücken ist geschmeidig, das Genick und Kiefergelenk losgelassen und die Hinterhand aktiv. Die Lehre von der Biomechanik macht den physikalischen körperlichen Teil der klassischen Reitlehre zu einem einleuchtenden, für jedermann nachvollziehbaren Leitfaden. Biomechanische Zusammenhänge machen es einfacher, möglicherweise unlogisch klingende Forderungen nachvollziehen zu können. Die biomechanischen Zusammenhänge beschreiben, wie der Umformungsprozess eines Lauf- und Fluchttieres zu einem Reitpferd vonstattengeht, ohne das Pferd psychisch und physisch negativ zu beeinflussen oder gar zu schädigen. Das Harmonieprinzip sollte, wie ein befreundeter Ausbilder immer wieder konstatiert, immer an erster Stelle stehen. Die Leistungsabfrage steht an zweiter Stelle!
Abb. 1: Rückengänger
Abb. 2: Schenkelgänger
Abb. 3: Spannrückengänger
Abbildungen: Kaja Möbius, Aus „Finger in der Wunde“, von |
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