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HKP-6-2011 > Mobiles digitales Röntgen

Mobiles digitales Röntgen

Radiologische Untersuchung beim Pferd

Nicht jedem Pferdebesitzer ist es möglich, sein Pferd in eine Klinik zu bringen, um dort stationär Untersuchungen durchführen zu lassen. Deshalb gehört das mobile digitale Röntgen zur täglichen Arbeit der Tierärzte und stellt eine einfache Möglichkeit der Diagnostik im Stall, also vor Ort. Entwicklungschemikalien und anderes Equipment müssen nicht mitgeführt werden, wie es bei der analogen Technik nötig war. Tierarzt Benjamin Graveley gibt einen Überblick und rundet diesen mit Fallbeispielen ab.

Der größte Vorteil des digitalen Röntgens ist die sofortige Beurteilbarkeit der Röntgenbilder. Vorteilhaft ist zudem die Übertragbarkeit der Daten auf praktisch alle elektronische Medien, sodass die Bilder dem Besitzer, einem anderen Tierarzt, Schmied oder jeder anderen Person mit Zustimmung des Besitzers ausgehändigt werden können. Die Darstellungsart der Röntgenbilder hat sich vom analogen zum digitalen Röntgen nicht verändert. Jedoch ist die Bilderzeugung grundverschieden. Das analoge Bild wird mit Folien produziert, deren Oberfläche
beschichtet ist und chemisch aufgeschlossen wird. Die Herstellung eines digitalen Bildes geschieht über Speicherfolien, die mithilfe eines Sensors ausgelesen werden. Dabei ist das Röntgengerät seit jeher – im Gegensatz zur Folie – unverändert.

Darstellungsmöglichkeiten und Grenzen der Röntgentechnik

Die aussagekräftigste Einsatzmöglichkeit der Röntgentechnik ist mit Sicherheit dieDarstellung von Knochen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, vor allem beim Kleintier oder jungen Großtier, innere Organe darzustellen. Allerdings nimmt diese Möglichkeit mit zunehmender Körpermasse ab, sodass z.B. beim erwachsenen Pferd nur die Lunge in Ausschnitten mit entsprechend leistungsstarken Geräten abzubilden ist. Sehnen, Muskeln und Bänder am Pferdebein sind nur sehr schemenhaft darstellbar. Eine Untersuchung mittels Ultraschall bietet hier eine sehr viel genauere Abbildungsvariante. Für den Fall, dass starke Muskelgruppen Knochen umgeben, z.B. Lendenwirbelsäule, Hüfte und Oberschenkel, gelangt die Röntgentechnik an ihre Grenzen. Die Darstellung der betreffenden Bereiche ist lediglich sehr kontrastarm möglich. Hier bedient man sich beispielsweise der Szintigrafie. Es ist auch immer zu beachten, dass ein Röntgenbild eine zweidimensionale Abbildung darstellt und somit in das Bild hervorstehende oder in die hintere Bildebene reichende Objekte nicht oder nur unzureichend dargestellt werden können. Hierfür bedarf es zusätzlicher Aufnahmetechniken.

Röntgenindikationen

Röntgenindikationen beim Pferd sind meistens Ankaufsuntersuchungen, Rittigkeitsprobleme, Lahmheiten oder, sehr selten, internistische Probleme. Die Ankaufsuntersuchung wird durchgeführt, um festzustellen, ob die Knochen des Skelettes zum Zeitpunkt der Untersuchung röntgenologische Veränderungen aufweisen. Dazu gehören unter anderem Arthrosen, Dissekate (Knochenfragmente) und Fehlstellungen der Knochen zueinander. Die Beurteilung der Veränderungen erfolgt nach einem Röntgenkatalog, in dem die meisten Veränderungen aufgelistet und so genannten Röntgenklassen (I – IV) zugeordnet sind (DVG/Fachgruppe Pferd).

Fallbeispiele

Fall 1: Obwohl ein Wallach bei der klinischen Ankaufsuntersuchung unauffällig ist, fallen bei der röntgenologischen Untersuchung des linken Knies zahlreiche isolierte Verschattungen im Bereich des Kniescheibengelenkes auf. Eine mögliche Entstehungsursache dieser Dissekate sind Störungen des Knorpel-Knochen-Stoffwechsels. Dem Wallach wurden die Fragmente operativ entfernt. Er ist heute ein Sportpferd (Abb. 1).

Fall 2: Eine Stute ist ebenfalls bei der klinischen Ankaufsuntersuchung unauffällig. Bei der röntgenologischen Beurteilung fällt jedoch eine rundliche Aufhellung zentral im Strahlbein auf. Diese Veränderung wird als Strahlbeinzyste oder zystoider Defekt des Strahlbeines bezeichnet (Abb.2). Die Stute wurde nicht verkauft. Diese beiden dargestellten Befunde werden der Röntgenklasse IV zugeordnet. Bei Rittigkeitsproblemen sind oft keine orthopädischen Ursachen, d.h. Veränderungen an Knochen, Muskeln und Sehnen, zu finden. Wenn aber doch orthopädische Probleme vorliegen, sind des Öfteren Ver änderungen am Hals oder Rücken des Pferdes zu finden. Nicht immer sind diese knöchernen Ursprungs, es kann sich auch um Veränderungen am Bandapparat oder in der Muskulatur des Halses handeln.

Fall 3: Eine Stute ist nicht reitbar. Die klinische Lahmheitsuntersuchung blieb an allen vier Gliedmaßen ohne Ergebnis. Die Palpation des Rückens zeigte Auffälligkeiten im Bereich der hinteren Sattellage. Die in diesem Bereich durchgeführten Röntgenaufnahmen zeigen degenerative Veränderungen der Dornfortsätze der Brustwirbelsäule im Sinne von „Kissing Spines“. Aufgrund der röntgenologischen Veränderungen wurde die Stute in eine Klinik zur Szintigrafie überwiesen, wo sich die röntgenologischen Befunde als aktive Prozesse bestätigten. Mit entsprechendem Management und Therapie ist die Stute heute reitbar (Abb.3).

Fall 4: Ein 3-jähriger Wallach zeigt einen unkoordinierten Gang im Sinne einer Ataxie. Ein Rückwärtsrichten ist nur erschwert möglich und bei schnell herbeigeführten Richtungsänderungen verliert der Wallach mehrfach das Gleichgewicht, kommt ins Straucheln, fällt aber nicht. Der Besitzerin ist die Gefahr, die von dem Pferd im Moment der reiterlichen Nutzung ausgeht, nicht bewusst. Die Röntgenuntersuchung zeigte eine deutliche Achsenbrechung im Bereich des dritten und vierten Halswirbels – auch in gestreckter Haltung –, wodurch das Rückenmark und seine Nervenbahnen permanentem Druck ausgesetzt sind und somit irreversibel geschädigt werden. Diese Veränderung entsteht durch eine Instabilität des Bandapparates der Wirbelsäule oder auch durch ein Trauma. Der Wallach ist heute ein Beistellpferd (Abb.4). In Bezug auf internistische Probleme ist das Röntgen nur bei sehr wenigen Fragestellungen einzusetzen. Die inneren Organe des Bauchraumes sind sich in ihrer Dichte zu ähnlich. Hinzu kommt, dass Fett den Kontrast erheblich mindert. Deshalb ist nur die mit Luft gefüllte Lunge, auch beim adulten Großpferd, ein röntgenologisch gut zu untersuchendes Organ.

Fall 5: Ein Wallach leidet unter therapieresistentem Fieber und einer Atemwegsproblematik im Sinne von erschwerter Atmung. Die Auskultation zeigt ein inspiratorisches und exspiratorisches Atemgeräusch. Der Wallach hustet nicht. Die durchgeführte röntgenologische Untersuchung ergibt multiple röntgenologisch darstellbare, rundliche Verdichtungen des Lungengewebes, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Abszesse darstellen. Auch die sonografische Untersuchung ergibt ähnliche Befunde an der Lungenoberfläche. Trotz intensiver Therapie verschlechterte sich der Zustand, und der Wallach wurde euthanasiert (Abb.5). Die Problematik, bei der die Röntgentechnik am meisten Verwendung findet, sind Lahmheiten. 60 % aller auftretenden Lahmheiten entspringen im Weichteilgewebe, 40 % sind knöchernen Ursprungs, wobei nicht jedes knöcherne Problem mit röntgeno logischen Veränderungen einhergeht. Nicht jeder knöcherne Befund wiederum ist die Ursache einer Lahmheit. Dazu bedarf es diagnostischer Injektionen, um die Stelle lokal einzugrenzen. Am Anfang steht jedoch die Röntgentechnik.

Fall 6: Ein Pony ist mitten in einer Springprüfung auf dem rechten Vorderbein hochgradig lahm. Aufgrund der mobilen digitalen Röntgentechnik ist eine sofortige röntgenologische Untersuchung möglich und zeigt eine Trümmerfraktur des Fesselbeines. Das Pferd konnte ohne zusätzlichen Transportstress von den Schmerzen befreit werden und wurde an Ort und Stelle euthanasiert (Abb. 6).

Fall 7: Eine Shetlandponystute wird aus schlechter Haltung gerettet und fällt durch einen klammen Gang und häufiges Liegen auf. Die Vorderhufe weisen Veränderungen im Sinne von Reheringen auf. Bei der röntgenologischen Untersuchung zeigen sich hochgradige Veränderungen des Hufbeines beider Vorderbeine. Durch gute Zusammenarbeit mit dem Hufschmied und regelmäßige Kontrollen ist das Pony heute in der Lage, ein Leben in einem Offenstall führen zu können (Abb.7 und 8).

Röntgenaufnahmen beim Pferd werden oft für die beschriebenen Fragestellungen eingesetzt. Tierärzte dürfen aber nach dem Strahlenschutzgesetz nur dann Aufnahmen tätigen, wenn eine Indikation besteht.

HKP 6 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 6 / 2011.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
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Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.