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Zur Wechselwirkung auf das Verhalten des Hundes

Stress und Aggression

Häufig wählen Hunde-Anfänger ein Tier mit ungünstiger Disposition. Wenn sie vom Hundetrainer oder Tierarzt schlecht beraten werden, kann ein Teufelskreis in Gang gesetzt werden. Aggressionen sind dann oft ein Signal für Unsicherheit. Ein Blick auf Herkunft und Gesundheit, Ernährung, Verhaltensbiologie und Erziehung kann Problemverhalten verhindern.

Ben – ein Fallbeispiel

Bens Geschichte ist eine Standardsituation: Ben wuchs auf einem Bauernhof mit Gastronomie auf. Die Welpen lebten im Schweinestall, zu dem die Mutterhündin keinen Zugang hatte. Die Gästekinder durften mit den Welpen spielen und behandelten die kleinen Tiere wie Spielzeug. Die Konsequenz für die Welpen war, dass sie schon in den ersten Wochen sehr unruhig waren, weil sie immer wieder aus dem Schlaf gerissen wurden. Bei der Abgabe an den künftigen Halter gab der Landwirt Bens Alter mit vier Wochen an. Der Tierarzt schätzte ihn jedoch auf vier Monate. Sozialisierung und Prägung waren also schon im vollen Gange. Die neuen Besitzer gingen mit ihm in einen Junghunde-Kurs. Gegenüber Artgenossen verhielt sich Ben auffällig: Er bestieg sie und zeigte kein wirkliches Spielverhalten. Schließlich musste er an der Leine bleiben oder vom Platz, wenn die anderen frei liefen. Die Trainer rieten, als Ben ein Jahr alt war, zur Kastration mit der Begründung, dass er dadurch ruhiger werde. Nach der Kastration wurde Ben allerdings noch nervöser und reagierte oft impulsiv. Sein Benehmen gegenüber Artgenossen und Besuchern wurde unfreundlicher und er zeigte extremes Wachverhalten. Seine Besitzer führten ihn nur noch an der Leine. In der Folge wurde er leinenaggressiv. Mit elf Monaten biss er seine Halterin in einer Paniksituation in die Hand, mit drei Jahren wurde er schon zwei Jahre lang an der Leine geführt. Der Junghundekurs hatte nicht die erhoffte Wirkung gezeigt, weshalb sich die Besitzer für ein Einzeltraining entschieden.

Die Fallanalyse: Ursachen und Wechselwirkungen

// (a) Von Anfang an hatte der Hund einen ständig erhöhten Stresspegel, der nie wirklich absinken konnte. Der Organismus des kleinen Hundes konnte nicht entspannen. Eventuell erfuhr auch die Mutterhündin während der Trächtigkeit bereits Stress. Man weiß, dass Stress sich im letzten Schwangerschafts-Drittel durch den Blutkreislauf auf die ungeborenen Welpen überträgt. Die Folge kann ein dauerhaft erhöhter Cortisol-Spiegel sein sowie eine Störung in der späteren Sozialverträglichkeit.

// (b) Ben lernte kein geregeltes Sozialverhalten und damit keine Problemlösungsstrategien für ungewohnte Situationen oder bei Begegnungen mit Art genossen. Er war oft überfordert und reagierte mit Selbstschutzattacken. Der Organismus schüttet in solchen Fällen Noradrenalin aus und setzt Dopamin frei, ein Gefühl der Erleich terung entsteht. Für Ben war Selbstschutz also mit Erleichterung verbunden.

// (c) Durch die Kastration wurde Ben das Testosteron genommen, der Gegenspieler des Cortisols.

// (d) Ben hatte bei nervösem und unsicherem Verhalten einen traurigen Gesichtsausdruck. Angesichts seiner Unruhe hätte er schlank sein sollen, war aber übergewichtig. Eine Blutuntersuchung bestätigte den Anfangsverdacht einer Schilddrüsenunterfunktion. Die Folgen: Übergewicht, Ängstlichkeit, Gereiztheit und gesteigerte Cortisolproduktion.

// (e) Unzureichende Bewegung und fehlende Beschäftigung verschärften die Situation. Ein Teufelskreis war in Gang gesetzt.

Der Trainingsansatz

Vor dem Verhaltenstraining müssen die physiologischen Einflüsse geklärt sein.

// Ben wurde beim Tierarzt untersucht. Dies zeigte die Schilddrüsenunterfunktion, die mit Medikamenten schnell behandelt wurde.

// Zusätzlich bekam Ben ein DAP-Halsband (Dog Appeasing Pheromone), um seinen Botenstoffhaushalt beeinflussen zu können.

// Schließlich wurde Ben auf getreidefreies Futter umgestellt, um Unverträglichkeiten und ungünstiges Auswirken auf den Hormonhaushalt zu unterbinden.

Das Training zielte darauf, dem Hund (a) ausreichend Ruhe zu verschaffen, (b) für ausreichend Bewegung zu sorgen, (c) ihm durch konsequente Übung und Umgang im Alltag Orientierung und Sicherheit zu geben, (d) mit klaren Abbruchsignalen das aggressive Verhalten gegenüber Artgenossen zu stoppen und dadurch seine Konditionierung umzuprogrammieren. Am Anfang kam die Maulkorbgewöhnung, um unmittelbare Gefahr auszuschließen. Mit dem Maulkorb an der Schleppleine erhielt Ben mehr Bewegungsfreiheit. Die Besitzerin machte intensives Rückruftraining und Aufmerksamkeitsübungen beim Spazierengehen. Mit der Zeit konnte Ben Kontakt zu anderen Hunden aufnehmen. Da er sich nun einige Meter frei bewegen konnte, wurde keine Leinenaggressivität mehr ausgelöst. In der Wohnung wurde Ben nicht mehr mit zur Tür genommen und der Besuch wurde gebeten, ihn komplett zu ignorieren. Im Wohnzimmer wurde er zur Sicherheit angeleint. Auf diese Weise konnte er Ruhe finden. Im Tagesverlauf bekam Ben Ruhephasen verordnet – auch zu diesen Zeiten wurde er angeleint. Nach einigen Tagen schlief er erstmals fest. Dennoch blieb es sehr schwierig für ihn, sein über lange Zeit konditioniertes Verhalten abzulegen Ben ist immer noch unberechenbar.

take home

Viele problematisch disponierte Hunde werden an unwissende Halter abgegeben. Das Hormonsystem ist maßgeblich am Verhalten des Hundes beteiligt. Eine Behandlung von Schilddrüsenfehlfunktionen kann die erste Grundlage für eine erfolgreiche Behandlung sein, aber selten ihr Abschluss. Eine Zusammenarbeit von Tierarzt und Verhaltenstrainer macht den Therapieerfolg wahrscheinlicher.

HKP 2 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 2 / 2013.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
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