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Das kognitive Dysfunktionssyndrom - senile Demenz beim Hund

Altersdemenz erkennen und therapieren

Nicht nur Menschen, auch Hunde haben in den letzten Jahrzehnten an Lebenserwartung hinzugewonnen. Dies birgt jedoch auch mehr Möglichkeiten für Krankheiten wie Alterssenilität. Bei unseren Haushunden ist eine alzheimerähnliche Erkrankung, das so genannte kognitive Dysfunktionssyndrom, mittlerweile allgemein bekannt. Die Diagnose dieser Erkrankung ist jedoch nicht immer ganz einfach und Therapien sind nur begrenzt möglich. Ziel dieses Artikels ist es, einfache diagnostische Hilfen zur Verfügung zu stellen und mögliche Therapieansätze aufzeigen.

Zu den altersbedingten Erkrankungen der Hunde gehört u.a. das kognitive Dysfunktionssyndrom, auch senile Demenz genannt. Hierbei kommt es im Laufe der Zeit zu ­einer pathologischen Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten und somit des Verhaltens eines Hundes. Diese Beeinträch­tigung interferiert meist deutlich mit dem normalen Alltag eines betroffenen Hundes und seines Halters. Diese Tatsache muss beachtet werden, da sich die Verhaltens­änderungen im Anfangsstadium oft nicht von normalen, „gesunden“ Alterungsprozessen abgrenzen lassen. Zu den normalen Prozessen gehören beispielsweise Veränderungen im Schlaf-Wach-Rhythmus [1] sowie eine reduzierte Lern- und Erinnerungsfähigkeit [2,3].

Ätiologie und Vorkommen

Da das kognitive Dysfunktionssyndrom beim Hund eine ähnliche Ätiologie und ­einen ähnlichen Verlauf wie die menschliche Alzheimererkrankung hat, wird sie land­läufig auch „Hunde-Alzheimer“ genannt. Genau wie bei Menschen kommt es aus bislang ungeklärten Gründen zu irreversiblen, degenerativen Veränderungen wie Ablagerungen von Lipofuszin oder β-Amyloid-Plaques im Gehirn [4, 5]. Wahrscheinlich ist, dass eine mangelnde geistige Aktivität zu einem früheren Auftreten beziehungsweise zu einem schnelleren Fortschreiten der Erkrankung führt.
In Studien wurde die Häufigkeit des Vorkommens der senilen Demenz untersucht, bei Hunden über sieben Jahren wurden bei 1/3–2/3 der Tiere Anzeichen für diese Erkrankung gefunden [6, 7]. Es ist also davon auszugehen, dass es sich um eine relativ häufig vorkommende Krankheit handelt. Eine genetische bzw. Rassedisposition kann nach momentanem Kenntnisstand nicht ausgeschlossen werden. Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass weibliche sowie kastrierte Tiere häufiger betroffen sind als männliche oder intakte [8].

Symptome

Die häufigsten Symptome werden üblicher­weise in den fünf Leitsymptomenkom­plexen Desorientiertheit, veränderte Interaktionen mit bekannten Personen/Tieren, veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus, Stubenunreinheit und veränderte Aktivität zusammengefasst [z.B. 9, 10]. Ihre Ausprägung kann indivi­duell sehr unterschiedlich sein.

Desorientiertheit

Die Desorientiertheit kann sich darin äußern, dass der betroffene Hund manchmal ziellos umherwandert, ins Leere starrt, bekannte Personen nicht mehr erkennt (Abb. 1) oder hinter Möbeln sowie in Ecken regelrecht „stecken bleibt“ und nicht mehr zurückfindet. Des Weiteren kann es dazu kommen, dass der Hund auf der falschen Seite der Tür oder an der falschen Tür darauf wartet, herausgelassen zu werden, draußen den Anschein erweckt, dass er „vergessen“ hat, weshalb er hinausgehen wollte (Abb. 2) oder insgesamt einen verwirrten Eindruck macht. Zusätzlich zeigen betroffene Hunde manchmal auch die Unfähigkeit, Hindernisse zu überwinden oder eine mangelnde Reaktion auf das Rufen des Namens oder auf bekannte Kommandos.


Abb.1: Symptom Desorientiertheit: Dieser Hund erkennt eine bekannte Person nicht mehr, sondern steht unbeteiligt neben ihr


Abb.2: Symptom Desorientiertheit: Erkrankten Hunde machen oft einen verwirrten Eindruck oder scheinen vergessen zu haben, was sie
draußen wollten

Veränderte Interaktionen

Ein vermindertes Verlangen nach Zuwendung und Streicheln sowie ein reduziertes Interesse an Spielzeugen und interaktiven Spielen sind typische Anzeichen dieses Symptomenkomplexes. Erkrankte Hunde entziehen sich auch oft dem Streicheln und begrüßen ihre Besitzer oder bekannte Hunde weniger enthusiastisch als früher oder reagieren gar nicht auf die Ankunft oder Anwesenheit der Besitzer. In Einzelfällen sind Hunde plötzlichen Stimmungsschwankungen unterworfen und insgesamt leichter reizbar.

Veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus

Betroffene Hunde schlafen meist mehr innerhalb von 24 Stunden, wobei aber der Nachtschlaf reduziert ist. Vor allem bei Dämm­erung oder Dunkelheit sind die Hunde rastlos und wandern oft hechelnd oder winselnd auf und ab. Der Schlafrhythmus ist unregelmäßig und es kommt zum Wechsel zwischen Insomnie und Hypersomnie.

Stubenunreinheit

Es kann passieren, dass erkrankte Hunde, die vorher stubenrein waren, plötzlich wieder im Haus unsauber sind, evtl. auch unmittelbar nach einem Spaziergang. Manchmal signalisieren erkrankte Hunde seltener oder nicht mehr, dass sie hinausmüssen.

Veränderte Aktivität

Die veränderte Aktivität betroffener Hunde äußert sich vor allem durch zielloses Umherwandern (v.a. stereotypes Auf- und Ablaufen) bzw. ein Abnehmen zielgerichteter Aktivitäten. Sie zeigen dabei auch meist weniger Interesse an ihrer Umgebung und Reaktionen auf bekannte Stimuli (Abb. 3).


Abb.3: Symptome veränderte Aktivität/veränderte Interaktion: Trauriger, in sich gekehrter Gesichtsausdruck bei betroffenem Hund, der nicht mehr zuverlässig auf bekannte Stimuli (hier: Spielaufforderung)
reagiert

Diagnose

Die Hauptproblematik bei der Diagnosestellung besteht in der Abgrenzung nor­maler Alterungsprozesse von krankhaftem Geschehen. Das Hauptaugenmerk bei Verdacht auf kognitives Dysfunktionssyndrom sollte daher auf den Leitsymptomenkomplex „Desorientiertheit“ gelegt werden. Allerdings lassen ein oder zwei Symptome noch keine Diagnose zu. Da einige Symptome wie ins Leere starren, mangelnde Begrüßung des Besitzers, reduzierter Enthusiasmus oder zielloses Umherwandern z.B. auch durch schmerzhafte Prozesse bedingt sein können, muss vorab immer eine gründliche körperliche Untersuchung erfolgen. Zusätzlich sollten auch Erkrankungen, die zu einer Veränderung der Seh- und Hörfähigkeit sowie der Stubenreinheit führen können, ausgeschlossen werden.

Da die Symptomentwicklung im Laufe der Zeit eine eindeutige Diagnose zulässt, muss ein verdächtiger Hund regelmäßig körperlich untersucht werden, bei der Anamnese müssen immer die Leitsymptome abgefragt werden. Hilfreich kann hierbei ein entsprechender Fragebogen sein [deutsch: 11, englisch: http://www.cdsindogs.com/PDF/cdsindogs/ANIPRYL.pdf].
Verstärken sich die vorhandenen Symptome oder kommen neue hinzu kann eine ­Diagnose gestellt werden. Bewährt hat sich daher folgendes Vorgehen bei Verdacht auf senile Demenz:

// Gründliche Allgemeinuntersuchung, vor allem auf schmerzhafte Prozesse Abfragen der Leitsymptomenkomplexe

// Monatliche Untersuchungswieder­holung und Symptomabfragen

//Therapiebeginn bei erhärtetem ­Verdacht auf kognitives
Dysfunktionssyndrom

Therapie

Mit einer Therapie sollte immer so früh wie möglich begonnen werden, evtl. auch schon bei reiner Verdachtslage. Besitzer müssen jedoch immer darauf hingewiesen werden, dass es sich um eine unheilbare, dege­nerative Erkrankung handelt und dass ­therapeutische Maßnahmen meist nur eine ­Verlangsamung des Erkrankungsprozesses bewirken können. Nur in Einzelfällen lassen sich zeitlich begrenzte Verbesserungen der Symptome erzielen. Es können verhaltenstherapeutische, diätetische und pharmakologische Maßnahmen ergriffen werden.

Verhaltenstherapeutische Maßnahmen

Der Erfolg dieser Maßnahmen ist eingeschränkt, jedoch lassen sich mit angepasster, leichter mentaler Stimulation (z.B. Gehen neuer Spazierwege, Training neuer Kommandos) und einer Anreicherung der Haltungsumwelt (z.B. Futterspielzeuge) Erfolge erzielen, vor allem in Kombination mit weiteren Maßnahmen [12, 13].

Spezialfuttermittel

Es gibt Spezialfuttermittel zur Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten, die auf alte Hunde abgestimmt und mit Antioxidantien angereichert sind. Zum jetzigen Zeitpunkt ist nur die Wirksamkeit von Hill’s b/d® ­belegt. Es ist derzeit das einzige Futtermittel, das explizit auf die Bedürfnisse von Hunden mit kognitiver Dysfunktion abgestimmt ist. Doch auch andere Futtermittel für alte Hunde, die reich an Antioxi­dantien und Mitochondrienfaktoren sind, können ähnlich hilfreich sein [14, 15].

Nutraceuticals

Im Bereich der Nutraceuticals wurden in den letzten Jahren Kombinationspräparate speziell für die Behandlung des kognitiven Dysfunktionssyndroms entwickelt. In Europa sind vor allem Aktivatit® (aus Groß­britannien; Hersteller Vetplus) und Senilife® (aus Italien; Hersteller Innovet Italia) für wirksam befunden worden [16, 6]. Bei beiden Produkten handelt es sich um Kombinations­präparate, die Antioxidantien sowie Stoffe enthalten, die die Gedächtnisleistung steigern wie beispielsweise Phosphatidylserin, Coenzym Q10 (Aktivait®) oder Gingko biloba (Senilife®). Sie können anstatt einer Ernährungsumstellung oder in reduzierter Dosierung zusätzlich zu einem Spezialfuttermittel verwendet werden.

Alternativ zu den erwähnten Präparaten kann auch eine Futter­umstellung von einem Zusatz von Coenzym Q10 und L-Acetyl-Carnithin begleitet werden, da diese Stoffe die kognitiven Fähigkeiten verstärken. Die Dosierung von Coenzym Q10 beträgt beim Hund 0,5?mg/kg KGW/Tag und die von Acetyl-L-Carnithin 27,5mg/kg KGW/Tag bzw. 10–250 mg/Hund/Tag.

Psychopharmaka

Es gibt mit Selegilin ein Psychopharma­kon, das erfolgreich für
die Behandlung des ­kognitiven Dysfunktionssyndroms verwendet wird [17,18]. Selegilin (z.B. Selgian®, Hersteller CEVA) ist ein Mono­aminooxi­dase(MAO)-Hemmer. Es wird in einer Dosierung von 0,5–1 mg/kg/Tag (morgens) eingesetzt. Es darf niemals gleichzeitig mit serotoninverstärkenden Antidepressiva (z.B. Clomipramin, Fluoxetin, Amitriptylin oder Buspiron) oder anderen MAO-Hemmern gegeben werden. In zwei Studien kommen die Autoren zu dem Schluss, dass ­S-Adenosylmehtionin Behandlungserfolge beim kognitiven Dysfunktionssyndrom erzielen könnte [19, 20].

Prophylaxe

Eine sichere Prophylaxe ist nicht möglich, da die Ursache des ­kognitiven Dysfunktionssyndroms nicht vollständig geklärt ist. Dennoch hat es sich bewährt, Hunde auch im Alter regelmäßig geistig auszulasten und für mentale Stimulation zu sorgen. Eine Umstellung auf ein Futtermittel, das speziell auf die Bedürfnisse alter Hunde zugeschnitten ist, empfiehlt sich ebenfalls ab dem siebten oder achten Lebensjahr. Geriatrische Hunde sollten zudem regelmäßig in die Praxis einbestellt werden. Bei der Untersuchung sollten immer die Leitsymptomenkomplexe abgefragt werden, sodass bei Verdacht sofort mit einer Therapie begonnen werden kann.

Literatur bei der Autorin

Foto: © istockphoto.com| kevinruss
Abbildungen: Dr. Barbara M. Schneider

Stichwörter:
kognitive Dysfunktionssyndrom, Schneider Barbara, senile Demenz, Ätiologie, Leitsymptomenkom­plexen Desorientiertheit, Symptomenkomplexes, Insomnie, Hypersomnie, Hill’s b/d®, Nutraceuticals, Selegilin,

HKP 4 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 4 / 2013.
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Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.