24.11.2024 18:43 - Über uns - Mediadaten - Impressum & Kontakt - succidia AG - Partner
Therapie RSS > Nutztiere RSS > Die Milch macht’s

Die Milch macht’s

Ohne gesunde Sau keine gesunden Ferkel

Nur eine Sau mit einem gesunden Gesäuge kann eine optimale Milchleistung erbringen und die – zunehmend größeren – Würfe ernähren. Daher kommt der Gesunderhaltung des Milchdrüsengewebes über die gesamte Nutzungsdauer der Sau enorme Bedeutung zu. Das größte Risiko im peripartalen Zeitraum geht dabei von Gesäugeentzündungen aus, die unter den Sammelbegriff der Symptomentrias MMA (Mastitis, Metritis und Agalaktie) fallen. Dr. Nicole Kemper über die vielfältigen Ursachen der Gesäugeentzündung beim Schwein.

Mastitis – nicht nur bei Kühen ein Problem

Das Erkrankungsbild ist in den meisten Ferkelerzeugerbetrieben weit verbreitet und bringt für den Schweinehalter erhebliche wirtschaftliche Verluste mit sich. Diese Verluste sind auf Leistungsminderungen der Sau und erhöhte Sterblichkeiten der Ferkel zurückzuführen. Durchschnittlich erkranken zwischen 10 und 30 %, in Problembeständen bis zu 80 % der Sauen. Der MMA-Komplex tritt bei Sauen innerhalb der ersten Stunden nach der Geburt auf und ist gekennzeichnet durch teilweises oder völliges Versagen der Milchproduktion aufgrund von Gesäugeentzündung. Schon der Ausfall eines einzigen Strichs kann sich erheblich auf die Überlebenschancen des einzelnen Ferkels auswirken. Je schneller die Krankheit erkannt wird, desto besser können bei sofortiger Einleitung der Therapie Schäden am Gesäuge und bei den Ferkeln vermieden werden. An MMA erkrankte Tiere weisen meist Fieber über 40 °C auf. Daher hat sich in der Praxis die Diagnose von MMA anhand eines modifizierten Bewertungsschemas mit Temperaturen über 39,3 °C bis 39,8 °C als sinnvoll erwiesen. Es ist jedoch zu beachten, dass die Körpertemperatur während und nach der Geburt auch bei gesunden Tieren, insbesondere bei Erstlingssauen, erhöht sein kann!
Deshalb empfiehlt es sich, zusätzliche Kriterien wie die Beurteilung des Gesäuges oder des Ferkelverhaltens in die Bewertung mit einzubeziehen. Wegen der Schmerzhaftigkeit versucht die Sau, Berührungen und das Saugen der Ferkel zu verhindern und nimmt deshalb eine typische Bauch-Brust-Lage ein. Begleitend können Fressunlust und Verstopfung beobachtet werden. Wegen der fehlenden Kolostrum- und Milchversorgung zeigen die Ferkel oft auffallende Verhaltensänderungen. Sie werden durch den Nahrungsentzug zunehmend nervöser und versuchen, andere Flüssigkeiten wie beispielsweise Harn aufzunehmen, wodurch oft Durchfall verursacht wird. Deutlich eingefallene Hungergruben zeigen den stündlich schlechter werdenden Ernährungszustand an. Im schlimmsten Falle sterben die Ferkel am Nahrungsentzug oder an den Folgeerscheinungen.

Mastitis – eine typische Faktorenerkrankung

Es ist keine alleinige Ursache für die MMAErkrankung der Sauen bekannt, vielmehr trägt das Zusammenspiel mehrerer Faktoren zum Ausbruch bei. Bislang sind über 30 mögliche ätiologische Ursachen beschrieben, deren tatsächliche Bedeutung diskutiert wird. Sicher ist, dass Keime und Umweltfaktoren eine große Rolle spielen. Vermutlich gelangen die krankheitsauslösenden Keime über die Zitzen aufsteigend in das Gewebe der Milchdrüse, wo es zu einer Keimvermehrung kommt, die zur Mastitis und dem Versiegen der Milchproduktion führt. Als verursachende Keime werden gram-negative, coliforme Keime (z.B. Escherichia coli, Klebsiellen u.a.) vermutet, die natürlicherweise in der normalen Darmflora aller Schweine vorkommen. Als Ursprung dieser Keime kommen zudem Infektionen und eitrige Entzündungen der Harnorgane infrage. Auf der anderen Seite ist unklar, ob krankheitsauslösende Bakterien möglicherweise direkt durch eine erhöhte Durchlässigkeit des Darmes über die Blutbahn in das Gesäuge gelangen. Dies würde erklären, warum Sauen mit Verstopfung häufiger an MMA erkranken, da die Verweildauer des Darminhalts und damit die Möglichkeit des Überwindens der Darmschranke erhöht sind. Rohfaserarme Fütterung in Kombination mit Bewegungsmangel und damit einhergehende Verstopfungen begünstigen das Entstehen einer ausgeprägten MMA. Giftige Bakterienbestandteile, die Endotoxine oder Lipopolysaccharide (LPS), gelangen in die Blutbahn und führen zur Verschlechterung des Allgemeinzustands der Sau. Diese Gifte schädigen nicht nur alle Zellen direkt, sondern stören auch den Hormonhaushalt. Die Hemmung von Prolactin als für die Milchbildung verantwortliches Hormon kann als wesentliche Ursache des Versiegens der Milch angesehen werden. Die Sau ist in ihrer Umgebung ständig mit den möglicherweise krankheitsverursachenden
Keimen konfrontiert. In Untersuchungen an der Christian-Albrechts- Universität Kiel wurde gezeigt, dass sich das Bakterienvorkommen in der Milch erkrankter und nicht erkrankter Sauen nicht wesentlich unterscheidet. Hier scheinen individuelle Veranlagungen der Sau entscheidend dafür, ob es zu einer Erkrankung kommt oder nicht. Neben der individuellen Resistenz ist der momentane Status des Immunsystems entscheidend für die Entwicklung einer Infektion. Darum sollte alles getan werden, um die Umgebung der Tiere so zu gestalten, dass negative Einflüsse auf die allgemeine Tiergesundheit vermieden werden. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass bei Sauen in Outdoor-Haltung seltener MMA zu beobachten ist.

Hygiene nach wie vor das A und O

Von Seiten der Hygienemaßnahmen kann MMA sinnvoll vorgebeugt werden:

- Im Idealfall werden die Abferkelabteile im Rein-Raus-Verfahren belegt. Gruppenund Abteilgrößen sollten optimal aufeinander abgestimmt sein.

- Auf eine möglichst gründliche Reinigung und Desinfektion der Abferkelboxen ist zu achten. Die Wirkung der Desinfektion sollte ggf. überprüft werden.

- Die Sauen sollten möglichst um den 110. Trächtigkeitstag in den Abferkelstall verbracht werden.

- Waschen der Sauen vor dem Einstallen kann den Keimdruck senken.

- Bei Trächtigkeiten >115 Tage sollte die Geburt hormonell mit Prostaglandinpräparaten eingeleitet werden. Die Geburten sollten zügig vonstatten gehen (<30 min zwischen Ferkeln)

- Entscheidend ist eine gute Geburtshygiene. Das Entfernen von Nachgeburtsteilen oder totgeborenen Ferkeln nach der Geburt sollte selbstverständlich sein, da diese Materialien einen optimalen Nährboden für Keime aller Art bieten.

- Zugekaufte Jungsauen sollten bei der Eingliederung Kontakt zu Altsauen haben, um eine belastbare Immunität gegen die stallspezifischen Keime aufzubauen.

Von Seiten der Fütterung ist darauf zu achten, dass die Sauen gut konditioniert in die Geburt gehen. Bewegungsmangel ist vorzubeugen, da übergewichtige, träge Tiere oft einen schleppenden Geburtsverlauf zeigen. Hier geht ein positiver Effekt von der Gruppenhaltung der Sauen aus.

Verdauung in Gang halten

Futterumstellungen vor der Geburt sind zu vermeiden. Den Sauen sollte ein ausreichend großer Rohfasergehalt – wie in der Schweinehaltungs-VO gefordert – in der Ration und unbegrenzt Frischwasser zur Verfügung stehen. Frischwasser ad libitum ist nicht nur vor der Geburt enorm wichtig (30 – 40 Liter/Tag, Durchflussmenge der Tränke 2 – 3 Liter/Minute), sondern auch während und nach der Geburt, um die ausreichende Produktion von Milch und Kolostrum zu erreichen. Nach der Geburt ist von einem Bedarf von mindestens 15 Liter Wasser pro Sau plus 1,5 Liter je Saugferkel auszugehen.
Zur Vermeidung von Verstopfungen wird häufig die Gabe von Glaubersalz empfohlen, dies wird jedoch meist von den Sauen äußerst ungern oder überhaupt nicht aufgenommen. Alternativ bieten sich Ballaststoffe wie Trockenschnitzel, Weizenkleie oder industriell hergestellte Rohfaserträger an.

Rasche Behandlung

Eine zuverlässige, wirksame MMA-Prophylaxe wie beispielsweise eine Impfung steht momentan nicht zur Verfügung. Die Behandlung erfolgt unmittelbar nach Diagnose mittels Antibiotika-Therapie. Die Erreger neigen zur Resistenzentwicklung. Treten gehäuft Fälle von MMA im Bestand auf, sind weitere Maßnahmen wie eine detaillierte Erregerbestimmung und der gezielte Einsatz eines geeigneten Antibiotikums anhand eines Antibiogramms nach Rücksprache mit dem Hoftierarzt einzuleiten. Ergänzend zur Gabe von Antibiotika sind Entzündungshemmer empfehlenswert, die den schädlichen Effekten der bakteriellen Endotoxine entgegenwirken und eine schmerzstillende Wirkung aufweisen. Zudem kann die Verabreichung von Oxytocin den Milchfluss stimulieren. Gegen die oftmals gleichzeitig vorliegende Verstopfung kann ein Digestivum zur Förderung und Normalisierung der Verdauung gegeben werden.

Resistente Tiere?

Mehrere Studien zur Erblichkeit von MMA deuten darauf hin, dass die Anfälligkeit für MMA genetisch festgelegt ist. Während in Deutschland die genetische Krankheitsresistenz beim Schwein bisher züchterisch nicht genutzt wird, finden in den USA, in Kanada, Dänemark und der Schweiz beispielsweise natürliche Resistenzen gegen bestimmte Escherichia coli-Stämme in die Selektionsprogramme Eingang. Gerade im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei der MMA-Vorbeugung und -Bekämpfung sind neue Ansätze unbedingt erforderlich. Bis zur Realisierung dieser Ansätze in der Praxis ist allerdings noch ein langer Weg zu beschreiten, bei dem die Bearbeitung der Thematik durch Forschung und Wissenschaft ganz vorn steht. Zunächst müssen die ursächlichen Keime genau bestimmt und ihre Beteiligung am Krankheitsgeschehen im Einzelnen untersucht werden, bevor unterschiedliche Empfänglichkeiten bei einzelnen Tieren analysiert werden können. Diesen Fragen wird gezielt im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Christian-Albrechts-Universität Kiel nachgegangen.
(www.gemma-kiel.de).

nkemper@tierzucht.uni-kiel.de

Foto: © Sauerkraut - Fotolia.com

HKP 1 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 1 / 2010.
Das komplette Heft zum kostenlosen Download finden Sie hier: zum Download

Der Autor:

Weitere Artikel online lesen

Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.