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Gnadenhof Kellerranch: Zufluchtsort für abgeschobene und gefundene Tiere

Nichts für schwache Nerven

Bereits als ich die Tür meines Autos öffne, tönt mir ein Gackern entgegen. Eine Schar von fünf kniehohen Vögeln, grau-weiß gemustert und mit einem lustigen roten Zippel unter dem Schnabel, flüchtet sich aufgeregt ins Hofinnere, als ich es wage auszusteigen. Ich folge ihnen. Die Luft ist erfüllt von Zwitschern, Trällern, Pfeifen, Wiehern und einem Geruchsgemisch aus Bauernhof und Streichelzoo.

Ich bin heute auf der Kellerranch in Weiterstadt, einem Gnadenhof für alte, ausrangierte Tiere oder schlicht solchen, die keiner mehr wollte. Das Ehepaar Keller wartet schon auf mich auf der Terrasse, einem Platz zwischen Koppeln und Großgehegen, umgeben von Lamas, Ziegen, Gänsen, Schweinen und Pferden. Sie betreiben die Ranch in der zweiten Generation. Gegründet wurde sie 1966 von Karl-Heinz Kellers Vater: „Die Leute brachten meinem Vater immer mehr Tiere vorbei, mit denen sie nichts anfangen konnten. Er hat sie alle aufgenommen und irgendwann die Ranch eröffnet.“ Heute ist sie ein eingetragener Verein, der auf seine Zulassung als Tierheim wartet. Die Ranch und somit das Gelände sind organisch gewachsen und beherbergten mit der Zeit immer exotischere Tiere. Die Bauten wurden daher mehr und mehr erweitert, angebaut, erneuert – mit Materialien, die man eben so hatte. „Die meisten Tiere, die wir bekommen, müssen wir erst aufpäppeln“, sagt Jutta Keller. Nicht selten werden Pferde und Katzen gebracht, die nur noch Haut und Knochen sind. Viele von ihnen stammen aus aufgelösten Tiermessi-Haushalten, manche aus Zirkussen, wie sie mir erzählt, und viele sind in so einem desolaten Zustand, dass aufgrund von chronischen Veränderungen Augen und anderes amputiert werden muss. Nach ein paar Wochen geht es den meisten wieder gut. Aber nicht alle haben das Glück. „Eine Stute, die uns im letzten Jahr gebracht wurde, hatte schwere Arthrose, war 26 Jahre alt, unterernährt und wurde die letzten zehn Jahre ohne Bewegung im dunklen Stall gehalten. Sie war traumatisiert“, sagt Jutta Keller. Trotz der eisigen Wintertemperaturen hatte sich das Tier geweigert, über Nacht in den Stall zu gehen – aus Angst, wieder eingesperrt zu werden. Lange fragten sich die Kellers, wie es mit ihr weitergehen sollte. Sie fand ihre eigene Lösung, indem sie eine schwere Kolik bekam und eingeschläfert werden musste. Das war eine der traurigen Geschichten, aber es gibt auch solche, die gut ausgehen. Zum Beispiel die von Rudi, einem Wildschweineber, der als Frischling gefunden und zur Ranch gebracht wurde. „Wenn Sie ein Schwein mit der Flasche aufziehen, dann wird es zahm“, sagt Karl-Heinz Keller. „Da war uns klar, dass wir Rudi behalten und kastrieren, damit er nicht gefährlich wird.“ Aufgezogen wurde der Eber von zwei Hängebauchschweinen, die er mittlerweile um das Dreifache überragt.


Abb.1: Der Wildschweineber Rudi liebt seine Zieheltern abgöttisch.

Die drei Schweine teilen sich eine Koppel, die mehrfach umgegraben aussieht, sie suhlen sich, schmatzen um die Wette und sind die Lieblinge der Kinder. Die Ranch ist beliebtes Ziel von Familien sowie Jugendgruppen und wurde vom Radiosender hr3 als ausgesuchte „Location“ ausgezeichnet. Auch viele Schulklassen kommen und Karl-Heinz Keller zeigt dann staunenden Kindern, wie so ein Tier aussieht, wie es riecht – was vor der Anschaffung von Frettchen nicht uninteressant ist – und welche Pflege es braucht. Für diesen Zweck dürfen einige Vögel ab und an ihre Eier ausbrüten und werden die beiden alten Frettchenherren auf dem Hof nicht kastriert. Ansonsten ist die Kastration jedoch unumgänglich. „Unser Ziel ist es nicht, alle Tiere auf dem Hof zu behalten“, sagt Jutta Keller. „Wir wollen jedes Tier, das noch jung oder lebensfroh genug ist, mit Schutzvertrag in gute Hände weitervermitteln.“ Nur die ganz Alten dürfen bleiben und solche, die so Schlimmes erlebt haben, dass man sie nicht noch einmal an eine neue Umgebung und neue Menschen gewöhnen will.

"Meine größte Angst sind Tierseuchen"

so Jutta Keller. Der Hof hatte damit schon zu kämpfen. „Vor ein paar Jahren hat ein neues Pferd die Druse eingeschleppt. Zum Glück hat unser Tierarzt Dr. Hanebuth das rechtzeitig erkannt und wir haben es überstanden.“ Dieser ergänzt: „Die Blauzungenkrankheit hatten wir auch schon, aber auch die ging ohne Verluste vorbei.“ Neben etwa 11 Pferden und Ponys gibt es auch eine Gruppe Esel. Tierärztlich versorgt werden die Huf- und Großtiere von Dr. Friedrich-Wilhelm Hanebuth. Er betreut den Hof seit mindestens 20 Jahren.


Abb.2: Dr. Hanebuth entfernt beim Pony Merlin Zahnstein – mit großer Ausbeute.

In der Zeit erlebt man einiges, z.B. die erste Lama-Kastration in seiner Berufslaufbahn. Hanebuth kümmert sich auch um die beiden Paviane, die für meinen Geschmack ein wenig verdrossen dreinblicken und denen man lieber nicht zu nahe kommen möchte. Hanebuth jedoch ist groß und hat eine kräftige Stimme, genau wie Karl-Heinz Keller. „Die beiden haben Respekt vor mir“, sagt Keller. Doch Vorsicht ist geboten, Paviane unterliegen der Gefahrenklasse A. Kranke Papageien, Sittiche und andere Vögel werden von der Tierarztpraxis im Kölle-Zoo Weiterstadt behandelt. Für die Kleintiere übernimmt Corinna Böhmer die tierärztliche Versorgung, die auch zweite Vorsitzende des Vereins ist. „Alles mit Fell und Federn, aber keine Reptilien“, sagt sie selbst über ihre Arbeit. Die gibt es hier nicht, aber Vögel in jeder Größe und Farbe, von Zuchttauben bis Kakadus. Außerdem finden sich Hunde, etliche freilaufende Katzen, Kaninchen, Waschbären, Streifenhörnchen und ein Pastellfuchs auf der Ranch. Die Zeit auf der Ranch vergeht wie im Flug. Ich verabschiede mich nach einem halben Tag und bringe mich vor der beißwütigen Gans in Sicherheit, die fünf Jahre auf einem Balkon gehalten wurde. Zum Schluss sehe ich noch einmal die seltsamen Vögel vorbeihuschen, Perlhühner, wie mir Jutta Keller erklärt. Die Kellers und auch Hanebeuth und Böhmer sind mit Herz und Seele dabei. Wochenende oder Feiertage gibt es nicht. Es bleibt zu hoffen, dass die Ranch auch noch in den nächsten Generationen fortgeführt wird. Doch wie immer fehlt es an Geld und so freut sich der Verein über Geld- oder Futterspenden und ganz besonders über Patenschaften für eines der etlichen Tiere.

// mehr Informationen unter: www.kellers-ranch.de

Fotos: Anika Schröter

Stichwörter:
Gnadenhof Kellerranch, Tierheim, Tiermessi-Haushalte, Jutta Keller, Tierseuchen, Dr. Friedrich-Wilhelm Hanebuth

HKP 4 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 4 / 2013.
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Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.