SHT beim Kleintier
SHT beim KleintierDa brummt der SchädelDas Schädel-Hirn-Trauma (SHT) ist beim Menschen mit einer erheblichen Mortalität und permanenten Morbidität verbunden. Es stellt mit 40 Toten je 100.000 Einwohner die mit Abstand häufigste Todesursache bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bis 45 Jahre dar. Darüber hinaus werden in Deutschland jährlich ca. 4.000 Menschen aufgrund der Folgen eines SHT zu Langzeitpflegefällen. Hochrechnungen beziffern die sozioökonomischen Folgen des Schädel-Hirn-Traumas beim Menschen in Deutschland auf etwa 2,8 Mrd. Euro/Jahr. Analoge Erhebungen zum SHT beim Kleintier liegen zwar nicht vor, dennoch sind SHT-Patienten regelmäßig in der Kleintiersprechstunde vorstellig. Das SHT bei Hund und Katze ist in der Regel mit einem Verkehrsunfall, einem Sturz aus größerer Höhe oder der Auseinandersetzung mit einem anderen Tier assoziiert. Die neurologische Symptomatik variiert bei diesen Patienten von einer zeitweilig milden Verminderung des Bewusstseins bis zu einem permanent komatösen Zustand. Die Mortalität ist dabei erheblich und wir als Tierärzte empfinden mitunter eine gewisse Hilflosigkeit in der Versorgung dieser Patienten, da die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten begrenzt sind. Dennoch ist die Situation mitunter nicht so ausweglos, wie sie erscheinen mag. Durch ein grundlegendes Verständnis der pathophysiologischen Vorgänge beim SHT und daraus resultierender Therapieansätze kann es gelingen, manchen Patienten zu retten. Während eines SHT kommt es zu Primärschäden (Erschütterungen, Prellungen, Lazerationen, Blutungen, diffuse axonale Schädigungen), die durch das Auftreten von Sekundärschäden, die sich in den ersten Minuten bis Tagen entwickeln, verkompliziert werden. Wir haben zwar keinen Einfluss auf die eingetretenen Primärschäden, doch können wir durch therapeutische Maßnahmen die Sekundärschäden limitieren und damit das Gehirn bei den eigenen Regenerationsprozessen unterstützen. Initialbeurteilung Bei der Initialbeurteilung eines Patienten gilt es, jene Patienten zu identifizieren, die eine relativ gute Prognose haben und diese von solchen zu unterscheiden, die vermutlich auch bei intensiver Therapie einen eher ungünstigen Verlauf nehmen werden. Patientenbesitzer erwarten in der Regel nach der initialen Untersuchung diese Aussagen zur Prognose, bevor sie eine Entscheidung über aufwendige Diagnostik und Therapie treffen wollen. Somit hat die initiale Untersuchung des Patienten folgende Aufgaben zu erfüllen: // Allgemeinzustand des Patienten zu beurteilen: Notfall-ABC // Schwere der neurologischen Schädigung beurteilen // Feststellen, ob es weitere Läsionen am Nervensystem, im Thorax und im Abdomen oder an den Gliedmaßen gibt Während die Beantwortung der ersten Frage dazu dient, das momentane Überleben des Patienten zu sichern, helfen die anderen beiden Fragen, Aussagen zur Prognose zu treffen und die weitere Diagnostik und Therapie zu planen. Dabei sind folgende Symptome als prognostisch ungünstig zu beurteilen: 1. komatöser oder sich zusehends verschlechternder Bewusstseinszustand; 2. eine Enthirnungsstarre (komatös, Opisthotonus, Extensorspasmus aller Gliedmaßen) aufgrund einer funktionellen Durchtrennung der Verbindung zwischen Hirnstamm und Großhirn; 3. ein unkoordiniertes Atemmuster (Cheyne-Stokes-Atmung); 4. stecknadelkopfgroße Pupillen oder beidseitige nicht lichtresponsive Mydriasis; 5. Status epilepticus; 6. massive, offene Schädelfrakturen.
Abb.1 Laterolaterales Röntgenbild einer Katze mit einem Schädel-Hirn-Trauma. Bei genauer Betrachtung der Aufnahme fällt auf, dass eine Vielzahl weiterer Verletzungen vorliegt.
Bei Vorliegen eines oder mehrerer dieser Symptome muss eine ungünstige Prognose gestellt werden. Es ist zu empfehlen, bei diesen Patienten die Option der Euthanasie anzusprechen. Soll eine Therapie dennoch versucht werden, muss davon ausgegangen werden, dass eine zeit- und kostenintensive Therapie mit einer dennoch ungünstigen Prognose verbunden sein wird. In die Prognosediskussion bei Patienten, die aufgrund des SHT nicht mehr gehfähig sind, muss die Überlegung einbezogen werden, dass möglicherweise weitere orthopädische oder neurologische Läsionen vorliegen (Abb.1). Insbesondere Letztere können sich signifikant auf die Möglichkeit einer Genesung auswirken. So kann ein zusätzliches Rückenmarkstrauma, das zu einer permanenten Plegie führt, sich langfristig negativer auf die Prognose auswirken als das initial so offensichtliche SHT. Daher ist ein Übersichtsröntgen des gesamten Skelettsystems vor einer Therapieentscheidung zu empfehlen. Sollten Atemwegssymptome hinzutreten, ist das Röntgen auf den Thorax auszudehnen, um nach folgenden Pathologien zu suchen: Pneumothorax, Lungenkontusion, Pleuraerguss, Zwerchfellhernie und Rippenfrakturen. Besondere Bedeutung hat das Identifizieren eines Lungenödems, bei dem es sich nach einem SHT oft um ein nichtkardiogenes Lungenödem handelt. Dieses manifestiert sich häufig in den kaudodorsalen Lungenbezirken und kann zu hochgradiger Dyspnoe führen. Das nichtkardiogene Lungenödem spricht in der Regel wenig auf die Gabe von Diuretika an, sondern wird durch die Applikation von Sauerstoff therapiert. Die Gabe von Glukokortikoiden ist umstritten, möglicherweise wirkt sich aber die niedrig dosierte Applikation von Methylprednisolon positiv auf den Krankheitsverlauf des nichtkardiogenen Lungenödems aus.
Abb.2 Messgerät und Sonde zur direkten Bestimmung des intrakraniellen Druckes unmittelbar vor dem Einführen in das Gehirn. Die Sonde, die im Gehirnparenchym platziert wird, hat einen Durchmesser von 1mm.
Eine objektivere Gesamteinschätzung des neurologischen Zustandes kann mit einer an die Humanmedizin angelehnten modifizierten Glasgow-Coma-Scale versucht werden. Dabei werden – basierend auf der neurologischen Untersuchung – Punkte für die drei Kategorien Bewusstsein, Motorik und Hirnstammreflexe vergeben. Ein gesundes Tier kann maximal 18 Punkte erreichen. Hunde, die weniger als neun Punkte erreichen, haben eine ungünstige Prognose. Wir propagieren das nachfolgende Schema zur Vergabe der Punkte:
Modifizierte Glasgow-Koma-Skala (Leipzig)
Therapie Für jene Patienten, bei denen man sich aufgrund des Fehlens prognostisch ungünstiger Faktoren für eine Therapie entschieden hat, sind die therapeutischen Optionen im Wesentlichen darauf ausgerichtet, dem Gehirn möglichst physiologische Bedingungen zu schaffen, um den intrinsischen regenerativen Kapazitäten und der Plastizität des Gehirnes die Möglichkeit zu geben, die sekundären Prozesse einzudämmen und die primären Schäden zu heilen. Dazu wird versucht, den Blutdruck im Normalbereich zu halten, die Oxygenierung des Gehirnes zu gewährleisten, die Freisetzung von freien Radikalen und exzitatorischen Neurotransmittern zu minimieren sowie einer Steigerung des intrakraniellen Druckes entgegenzuwirken, um einen physiologischen zerebralen Blutfluss zu gewährleisten. Die Therapie wird also von folgenden Säulen gebildet: Aufrechterhaltung eines physiologischen Blutdrucks Unter physiologischen Bedingungen ist das Gehirn in der Lage, die zerebrale Durchblutung unabhängig vom peripheren Blutdruck zu regulieren und somit eine dem Bedarf angemessene Durchblutung zu gewährleisten, solange der mittlere arterielle Blutdruck (MAP) sich innerhalb der Grenzen von 50–150mmHg bewegt. Bei einem SHT jedoch geht diese Fähigkeit der Autoregulation oft verloren. Damit wird die zerebrale Durchblutung direkt abhängig vom peripheren Blutdruck (niedriger Blutdruck = geringe zerebrale Durchblutung). Daher ist es essenziell, durch eine gezielte Infusionstherapie den MAP – basierend auf regelmäßigen Messungen – im Bereich von 90–120mmHg zu halten. Hierbei kommen sowohl Vollelektrolytlösungen als auch hypertone Lösungen (7,5%ige NaCl-Lösung, HyperHES) zum Einsatz. Sollte sich der Blutdruck so nicht in den gewünschten Bereich anheben lassen, kann Dopamin eingesetzt werden. Infusionslösungen, die zusätzlich Glukose enthalten, sollten vermieden werden, solange keine Hypoglykämie nachgewiesen wurde. Oxygenierung Die Oxygenierung des Blutes lässt sich in der Regel zwar mit der Pulsoximetrie beurteilen, bei einem stark traumatisierten Patienten kann jedoch die mit dem Schockgeschehen assoziierte periphere Minderdurchblutung falsch niedrige Ergebnisse liefern. Daher sollte man, soweit verfügbar, eher der arteriellen Blutgasanalyse vertrauen. Dies hat außerdem den Vorteil, dass man so nicht nur den Sauerstoff-, sondern auch den Kohlendioxidpartialdruck überwachen kann. Die Möglichkeiten, die Oxygenierung zu verbessern, beinhalten unter anderem eine nasale Sauerstoffsonde, den Sauerstoffkäfig und eine Sauerstoffmaske. Man muss sich jedoch dessen bewusst sein, dass sich so die Sauerstoffkonzentration der eingeatmeten Luft auf maximal 30–50% steigern lässt. Höhere Konzentrationen lassen sich dagegen nur nach Intubation des Patienten erzielen, wozu eine Narkose nötig wird. Zu diesem Zweck können Barbiturate eingesetzt werden, da sie zusätzlich die metabolische Rate des Gehirnes senken, indem sie den Stoffwechsel des Gehirnes herunterregulieren. Alternativ kann Propofol Verwendung finden. Verhinderung des Anstiegs des intrakraniellen Druckes Woher weiß man, wie hoch der intrakranielle Druck (ICP) des Patienten ist? Die einzige sichere Methode, diesen zu bestimmen, besteht darin, den Druck direkt zu messen. Dazu wird genau wie beim Menschen eine 1 mm dicke Sonde über eine kleine Bohröffnung in das Gehirnparenchym eingeführt (Abb.2). Die einmal platzierte Sonde kann dann über Tage im Patienten verbleiben, um kontinuierlich eine Überwachung des ICP zu ermöglichen. Es lässt sich damit sowohl das Ansprechen auf eine eingeleitete Therapie verfolgen als auch eine Progression der zerebralen Veränderungen wesentlich frühzeitiger erkennen, als dies auf Grundlage der klinisch-neurologischen Symptome des Patienten möglich wäre. So kann die Therapie dem jeweiligen ICP angepasst werden. Leider stehen solchen Möglichkeiten in der Tiermedizin bisher nur an sehr wenigen ausgewählten Einrichtungen zur Verfügung. Gibt es andere Möglichkeiten, um eine Zunahme des ICP zu erkennen? Generell kann man davon ausgehen, dass eine solche Drucksteigerung bei einem Patienten besteht, wenn hochgradige neurologische Ausfälle infolge eines SHT vorliegen oder sich die Symptomatik nach dem Trauma zusehends verschlechtert. Zusätzlich kann das Vorliegen eines spezifischen Syndroms, des Cushingreflexes, helfen, eine intrakranielle Drucksteigerung zu vermuten. Wurde ein erhöhter ICP gemessen oder wird dessen Vorliegen aufgrund eines erkannten Cushingreflexes vermutet, so kann man versuchen, den Druck durch eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen zu senken: 1. Leichte Kopfhochlagerung, um den venösen Abfluss aus dem Gehirn zu erleichtern; 2. Osmotherapie (0,5–2g/kg Mannitol oder 5–6ml/kg 7,5%ige NaCl-Lösung beim Hund), gefolgt von Vollelektrolytlösungen; 3. Intubation und leichte Hyperventilation; 4. künstliches Barbituratkoma. Sollten die so getroffenen therapeutischen Maßnahmen zu keiner Besserung des neurologischen Zustandes führen oder sich dieser im Laufe der Therapie verschlechtern, so muss spätestens dann bildgebende Diagnostik am Kopf durchgeführt werden, um gegebenenfalls chirurgisch eingreifen zu können. Dabei ist die Computertomografie besonders geeignet, um Verletzungen des Craniums zu diagnostizieren, aber auch akute Blutungen lassen sich hier zuverlässig darstellen. Schäden am Gehirnparenchym sind dagegen jedoch nur in der MRT festzustellen. Darüber hinaus liefert die MRT wichtige Aussagen für die Planung eines potenziellen chirurgischen Eingreifens. Dabei steigt die Detailerkennbarkeit kernspintomografischer Befunde mit der magnetischen Feldstärke des verwendeten Tomografen, die in der Tiermedizin meistens zwischen 0,2 und 1,5 Tesla liegen, während bisher nur in Ausnahmefällen, wie an der Klinik für Kleintiere der Universität Leipzig, 3 Tesla-Geräte zur Verfügung stehen. take home Zusammenfassend sollten wir uns bewusst machen, dass ein Patient, der nach einem Schädel-Hirn-Trauma vorstellig wird, zuerst einmal das initiale Trauma überlebt hat. Es ist nun die Aufgabe des Tierarztes, durch seine Therapie den Patienten zu unterstützen und zu helfen, die Ausprägung von Sekundärschäden zu minimieren. Wie weit man dabei geht, hängt sicherlich im Einzelfall von der Schwere der neurologischen Symptomatik, der Erwartungshaltungshaltung des Tierbesitzers und den Möglichkeiten der jeweiligen tierärztlichen Einrichtung ab. Aber auch heute gilt noch das klassische Zitat von Hippokrates (~400 v. Chr.): „Keine Kopfverletzung ist so schwerwiegend, dass sie hoffnungslos ist, noch ist sie so banal, dass man sie ignorieren darf.“
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