22.11.2024 16:44 - Über uns - Mediadaten - Impressum & Kontakt - succidia AG - Partner
Tierärzte & Kliniken > Dr. Werner Müller > Verdacht Hypothyreose

Verdacht Hypothyreose

Multizentrische Studie favorisiert T4/TSH -Quotient als neuen diagnostischen Marker

Beim Hund gehört die primäre Hypothyreose zu den häufigsten endokrinen
Erkrankungen. Mit der Bestimmung eines einzelnen Schilddrüsenparameters im Serum ist jedoch ihre Diagnose nach übereinstimmender internationaler Literatur nicht möglich. So ist ein erniedrigter cT4-Wert zwar verdächtig auf eine Hypothyreose, beweist diese aber nicht. Dr. W. Müller berichtet über die prospektive, multizentrische Hypothyreose- Studie*, die ein neues Licht auf die Bedeutung der cTSH-Bestimmung wirft.

Unbefriedigende diagnostische Situation

Aufgrund der Beeinflussbarkeit, d.h. Absenkung der Serum-T4-Konzentration durch Erkrankungen anderer Organe (Niere, Leber, Herz, Pankreas, sowie Cushing-Syndrom und Infektionen) und durch Medikamente (z.B. Sulfonamide) spricht man von einem „Euthyroid-Sick-Syndrom“. Die Abgrenzung zu einer wirklich primären Unterfunktion der Schilddrüse durch die alleinige Bestimmung der Schilddrüsenhormone und die Diagnosestellung „primäre Hypothyreose“ sind daher schwierig. Große Hoffnung wurde daher auf die Bestimmung des caninen Thyrotropin (cTSH) gesetzt, für das seit Mitte der 90er Jahre kommerzielle Testverfahren zur Verfügung stehen.
Obwohl bei einer primären Hypothyreose typischerweise ein erniedrigtes cT4 und –wegen der fehlenden negativen hypophysären Rückkopplung – ein erhöhtes cTSH vorliegen sollte, wurde diese Konstellation nur in einer ersten kleineren Studie gefunden [1]. In anderen Untersuchungen wiesen nur 58 – 87 % der hypothyreoten Fälle erhöhte cTSH-Werte auf [2], [3], [4]. Kompliziert wird die diagnostische Situation durch die von den Labors verwendeten uneinheitlichen, bis zu Faktor 2 unterschiedlichen cTSH-Referenzbereiche, durch die ja die Resultatbewertung erfolgt. Eine vergleichbare „Referenzwert-Problematik“ besteht allerdings auch für das cT4 [5] . Aufgrund dieser unbefriedigenden labormedizinischen Situation ist die Bewertung der ermittelten T4- und TSH-Resultate uneinheitlich bis widersprüchlich.
Seit etwa 11 Jahren gibt es die Möglichkeit, an einem Analysengerät die automatisierte parallele Bestimmung des caninen T4 (cT4) und des caninen TSH (cTSH) durchzuführen. Eine klinische und labormedizinische Validierung beider Testverfahren für die Diagnostik der caninen Hypothyreose liegt jedoch bis heute nicht vor. Diese beschriebene diagnostische Situation hat uns dazu bewogen, eine klinisch-labormedizinische Studie dazu durchzuführen.

Ziele der prospektiven, multizentrischen Studie

Ziele unserer prospektiven, multizentrischen Studie, die in Kooperation von 5 Praxen bzw. Kliniken mit dem Labor ALOMED durchgeführt wurde, waren daher:
1. Labormedizinische und klinische Validierung von einheitlichen, automatisierten veterinärdiagnostischer Testverfahren für cT4 und cTSH zur Diagnose der primären Hypothyreose unter folgenden Bedingungen:

- Einsatz des TSH-Stimulationstestes als diagnostischen Goldstandard
- Eigene Referenzwertermittlung für cT4, cTSH und den TSH-Stimulationstest an einem Kollektiv gesunder Hunde.

2. Empfehlungen für die Diagnostik und Therapiekontrolle der caninen Hypothyreose zu geben und damit zur Optimierung und Vereinheitlichung der caninen Schilddrüsendiagnostik beizutragen.

Referenzbereich und Diskriminationsfähigkeit des TSH-Stimulationstests

Der durch das Normalkollektiv (n=43) mittels 5 – 95 %-Percentile ermittelte Referenzbereich der T4-Differenz des TSH-Stimulationstestes beträgt 12,4 – 55,2 nmol/l. Aufgrund dieses Referenzbereiches wurden alle Hypothyreoseverdächtigen Hunde klassifiziert. Fälle mit einer T4-Differenz von kleiner 12,4 wurden als primäre Hypothyreose und Fälle mit einer T4-Differenz ab 12,4 und höher wurden als nichtbestätigte Hypothyreose eingestuft. Die ermittelten T4-Differenzen beim Vergleich der Werte vom Kollektiv Primäre Hypothyreose mit dem Kollektiv nicht bestätigte Hypothyreosen sind in Form eines Histogrammes in der Abbildung 1 dargestellt (zur Veranschaulichung wurde der Referenzbereich als Balkeneingezeichnet). Sie veranschaulichen die unter unseren Bedingungen gute Trennschärfe des TSHStimulationstestes zwischen euthyreot und hypothyreot, mit einem Abstand von 5 nmol/l zwischen dem euthyreoten Fall mit der niedrigsten T4-Differenz (von 13 nmol/l) und dem hypothyreoten Fall mit der höchsten T4-Differenz (von 8 nmol/l). Hinsichtlich der ermittelten T4-Differenzen gibt es also weder Überschneidungen zwischen den Kollektiven, noch grenzwertige oder nicht eindeutig klassifizierbare Fälle.

Klassifizierung der Fälle

a) Primäre Hypothyreose

Von insgesamt 72 Hypothyreose-Verdachtsfällen wurden aufgrund des TSH-Stimulationstestes 38 Fälle als primäre Hypothyreose eingestuft. Die T4-Differenz lag zwischen 0 und 8 nmol/l (Median: 0,25 nmol/l). Es handelt sich dabei um 30 reinrassige Tiere aus 26 verschiedenen Rassen (4 Rassen sind jeweils 2-fach vertreten) und 8 Mischlinge im Alter von 3 bis 14 Jahren (Median: 6,5 Jahre). Insgesamt 26 Tiere sind weiblich (davon 14 kastriert) und 12 Tiere männlich (davon 4 kastriert). Das Geschlechtsverhältnis weiblich/männlich beträgt damit 2,1:1. Die Häufigkeit der klinischen Hauptsymptome und der auffälligsten Laborwerte (ohne Hormonwerte) zeigt die Tabelle 1.

b) Nicht bestätigte Hypothyreose

Von insgesamt 72 Hypothyreose-Verdachtsfällen wurden aufgrund des TSH-Stimulationstestes 34 Fälle als euthyreot eingestuft. Die T4-Differenz lag zwischen 13 und 66 nmol/l (Median: 26 nmol/l). Es handelt sich um insgesamt 26 reinrassige Tiere aus 20 verschiedenen Rassen (5 Rassen sind 2- oder 3-fach vertreten) und 8 Mischlinge im Alter von 3 bis 13 Jahren (Median: 6,0 Jahre).

’Referenzbereiche und diagnostische Eignung der Schilddrüsenparamter cT4, cTSH und des cT4/ cTSH-Quotienten

Mit den auf Grundlage des TSH-Stimulationstestes klassifizierten Kollektiven wurden mittels ROC-Analyse die Referenzbereiche der Einzelparameter und des cT4/cTSH-Quotienten ermittelt (Tab. 2). Prozentsatz pathologischer Werte der Schilddrüsenparameter: Die Einzelparameter cT4 und cTSH sind bei der primären Hypothyreose in 84 bis 92 % der Fälle erniedrigt bzw. erhöht, bei den als euthyreot eingestuften, nicht bestätigten Verdachtsfällen jedoch auch in 18 bis 21 % der Fälle und im Normalkollektiv noch bei bis zu 7 % der Fälle. Demgegenüber zeigt der cT4/cTSH-Quotient bei der primären Hypothyreose mit 92 % erniedrigter Resultate zwar die gleiche Trefferquote wie cTSH, ist jedoch bei der nicht bestätigten Hypothyreose nur in 9 % der Fälle und im Normalkollektiv in keinem Fall pathologisch verändert. Drückt man nun diese Resultate in diagnostischen Leistungskriterien aus, in Form von Sensitivität, Spezifität, Vorhersagewert und Effizienz (Rate richtiger Entscheidungen), so ergibt sich das in Tabelle 3 dargestellte Bild.
Unter den Einzelparametern zeigt das cT4 mit 7 erniedrigten Werten bei insgesamt 77 Tieren des Normalkollektivs und des Kollektivs nicht bestätigter Hyperthyreose den geringsten Anteil falsch positiver Resultate und besitzt damit eine diagnostische Spezifität von 91 %. Sein positiver Vorhersagewert beträgt 82 %. Das cTSH weist bei 35 von 38 Tieren mit einer primären Hypothyreose erhöhte Werte auf, besitzt damit den geringsten Anteil falsch negativer Resultate und die höhere diagnostische Sensitivität von 92 %. Es weist damit einen negativen Vorhersagewert von 96 % auf. Die Kombination dieser beiden Einzelparameter in Form des cT4/cTSH-Quotienten erreicht die höchsten diagnostischen Leistungswerte. Richtig erkannt werden 35 von 38 Tieren mit primärer Hypothyreose, 31 von 34 Tieren mit nicht bestätigten Hypothyreosen und 43 von 43 gesunden Tieren. In insgesamt 109 von 115 Fällen (entsprechend einer Effizienz von 95 %) kann damit eine diagnostisch richtige Entscheidung gefällt werden. Unsere Ergebnisse zur diagnostischen Relevanz von cT4, cTSH und des cT4/ cTSH-Quotienten unterscheiden sich teilweise beträchtlich von den bisher publizierten Studien, wie sie in Tabelle 4 zusammengefasst sind. (Bei 3 der 4 bisherigen Studien erfolgte die Diagnosestellung ebenfalls mithilfe des TSH-Stimulationstestes). Auffallend ist die höhere diagnostische Spezifität des cT4 (bei deutlich niedrigerer Sensitivität), die deutlich höhere diagnostische Sensitivität des cTSH und vor allem die aus der Kombination beider Parameter erzielte gute Sensitivität, Spezifität und Effizienz des cT4/cTSH-Quotienten. Gründe für die aus unserer Studie ermittelten, höheren diagnostischen Leistungsdaten von cT4 und cTSH zur Diagnose der caninen primären Hypothyreose sind sicherlich auf 2 Ebenen zu suchen:
1. Die Ermittlung eigener Referenzwerte für den „Goldstandard“ TSH-Stimulationstest und für cT4 und cTSH.
2. Verwendung von automatisierten und ausreichend sensitiven und präzisen Testverfahren für canines T4 und canines TSH und Messung beider Parameter in jeweils derselben Messserie aus maximal 20 Stunden gelagertem Serum.

Diagnostische Empfehlung bei Verdacht auf primäre Hypothyreose

Die Ergebnisse der vorgestellten Studie möchte ich in folgender Empfehlung zusammenfassen:

- Eingangsuntersuchung: Bestimmung von cTSH.
- Bestätigungsuntersuchung bei erhöhtem cTSH: Zusätzliche Bestimmung von cT4 und Ermittlung des cT4/cTSH-Quotienten aus den beiden Messwerten.

Mit diesem Vorgehen lässt sich in 95 % der Fälle die Frage „Hypothyreose ja oder nein?“ richtig entscheiden. Nach diesem Diagnosekonzept verfahren wir seit über 3 Jahren mit sehr guter Erfahrung. Unsere Ergebnisse und Schlussfolgerungen nähern sich damit der Situation und dem diagnostischen Vorgehen bei der Hypothyreose des Menschen und den dort erarbeiteten diagnostischen Leitlinien [6].

wmueller@alomed.de

Für einen Einblick in die Abbildungen und die Tabellen bitte das Heft als PDF downloaden

Literatur
[1] ‚ Kraft W. & Ruschig S. (1996): Canines Thyreoidea-stimulierendes Hormon (cTSH) als Diagnostikum der caninen Hypothyreose. Kleintierpraxis 41: 795–799
[2] Peterson M.E. et al. (1997): Measurement of serum total thyroxine, triiodo-thyronine, free thyroxine, and thyrotropin concentrations for diagnosis of hypothyroidism in dogs. J. Am. Vet. Med. Assoc. 211: 1396–1402
[3] Dixon R.M. & Mooney C.T. (1999): Evaluation of serum free thyroxine and thyrotropin concentrations in the diagnosis of canine hypothyroidism. J. Small. Anim. Pract. 40: 72–78
[4] Boretti F.S. & Reusch C. (2004): Endogenous TSH in the diagnosis of hypothyroidism in dogs. Schweiz. Arch. Tierheilk. 146: 183-188
[5] Müller, W. (2003): Überraschende Ergebnisse bei Diagnostik und Therapie-Überwachung der Hypothyreose des Hundes. Vortrag Arbeitstagung Süd in Ravensburg, FG Kleintierkrankheiten der DVG
[6] Dietlein M., et al. (2003): Leitlinie zur Schilddrüsendiagnostik. Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin e.V., Göttingen

HKP 5 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 5 / 2010.
Das komplette Heft zum kostenlosen Download finden Sie hier: zum Download

Der Autor:

Weitere Artikel online lesen

Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.